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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

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Jch rücke nunmehr näher zum Ziele, und zwar zuförderst zur Erklärung der Haupterscheinungen in den täuschenden Zuständen, und um meine Meinung faßlicher zu machen, werde ich in der Folge einige Entstehungsarten von diesen Zuständen angeben.

Von allen täuschenden Zuständen ist der Traum der einzige, der fast allen Menschen aus eigner Erfahrung bekannt ist; man hat daher auch bestimmtere Begriffe von ihm, als von den übrigen; und man siehet sich oft gezwungen, von ihm auf die andern zu schliessen. Jn dieser Rüksicht verdient er die erste Stelle; zu dessen Erklärung aber etwas von unsern Vorstellungen im Schlafe vorausgeschickt werden muß.

Jn dem Zustande des tiefen Schlafes, worin auch kein Traum vorhanden ist, sind die dunklen Vorstellungen der Seele im Gleichgewicht, so daß keine derselben eine größere Stärke als die andre hat; keine ist die hervorstechende, die herrschende. Die Aufmerksamkeit, welche die Seele auf sich selbst und ihre Vorstellungen hat, ist in diesem Zustande äußerst schwach, aber nicht ganz unterdrückt, weil in ihm keine Vorstellung unterdrückt werden kann.

Daher kommt es, daß ein vor dem Schlafe gefaßter Vorsatz selbst in diesem Zustande eine Wirksamkeit hat, wie sehr viele Erfahrungen ausser allen Zweifel setzen; und daher kommt es ferner, daß die Schätzung des verstrichenen Zeit-


Jch ruͤcke nunmehr naͤher zum Ziele, und zwar zufoͤrderst zur Erklaͤrung der Haupterscheinungen in den taͤuschenden Zustaͤnden, und um meine Meinung faßlicher zu machen, werde ich in der Folge einige Entstehungsarten von diesen Zustaͤnden angeben.

Von allen taͤuschenden Zustaͤnden ist der Traum der einzige, der fast allen Menschen aus eigner Erfahrung bekannt ist; man hat daher auch bestimmtere Begriffe von ihm, als von den uͤbrigen; und man siehet sich oft gezwungen, von ihm auf die andern zu schliessen. Jn dieser Ruͤksicht verdient er die erste Stelle; zu dessen Erklaͤrung aber etwas von unsern Vorstellungen im Schlafe vorausgeschickt werden muß.

Jn dem Zustande des tiefen Schlafes, worin auch kein Traum vorhanden ist, sind die dunklen Vorstellungen der Seele im Gleichgewicht, so daß keine derselben eine groͤßere Staͤrke als die andre hat; keine ist die hervorstechende, die herrschende. Die Aufmerksamkeit, welche die Seele auf sich selbst und ihre Vorstellungen hat, ist in diesem Zustande aͤußerst schwach, aber nicht ganz unterdruͤckt, weil in ihm keine Vorstellung unterdruͤckt werden kann.

Daher kommt es, daß ein vor dem Schlafe gefaßter Vorsatz selbst in diesem Zustande eine Wirksamkeit hat, wie sehr viele Erfahrungen ausser allen Zweifel setzen; und daher kommt es ferner, daß die Schaͤtzung des verstrichenen Zeit-

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[25/0025] Jch ruͤcke nunmehr naͤher zum Ziele, und zwar zufoͤrderst zur Erklaͤrung der Haupterscheinungen in den taͤuschenden Zustaͤnden, und um meine Meinung faßlicher zu machen, werde ich in der Folge einige Entstehungsarten von diesen Zustaͤnden angeben. Von allen taͤuschenden Zustaͤnden ist der Traum der einzige, der fast allen Menschen aus eigner Erfahrung bekannt ist; man hat daher auch bestimmtere Begriffe von ihm, als von den uͤbrigen; und man siehet sich oft gezwungen, von ihm auf die andern zu schliessen. Jn dieser Ruͤksicht verdient er die erste Stelle; zu dessen Erklaͤrung aber etwas von unsern Vorstellungen im Schlafe vorausgeschickt werden muß. Jn dem Zustande des tiefen Schlafes, worin auch kein Traum vorhanden ist, sind die dunklen Vorstellungen der Seele im Gleichgewicht, so daß keine derselben eine groͤßere Staͤrke als die andre hat; keine ist die hervorstechende, die herrschende. Die Aufmerksamkeit, welche die Seele auf sich selbst und ihre Vorstellungen hat, ist in diesem Zustande aͤußerst schwach, aber nicht ganz unterdruͤckt, weil in ihm keine Vorstellung unterdruͤckt werden kann. Daher kommt es, daß ein vor dem Schlafe gefaßter Vorsatz selbst in diesem Zustande eine Wirksamkeit hat, wie sehr viele Erfahrungen ausser allen Zweifel setzen; und daher kommt es ferner, daß die Schaͤtzung des verstrichenen Zeit-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/25>, abgerufen am 29.03.2024.