Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.lich außer dem gemeinen Weltlauf liegende Sachen gesehen. Jch denke über diesen Punkt völlig wie eine gewisse äußerst schätzbare und geistreiche Person, die ich zwar nicht gradezu anbete, aber doch innigst verehre; ein Weib nach meinem Herzen: kurz, die heilige Jungfrau. Diese hatte in ihrem Leben viel außerordentliche Dinge an sich erfahren, und viele sich an andern zutragen sehen. Aber es ist bekannt, daß sie alles bemerkte, und alles in ihr Herz verschloß. Die Erfahrung hat gezeigt, wie wohl sie daran gethan hat. Laßt uns dieses Beispiel nachahmen, laßt uns schwatzen, streiten, psychologische Magazine herausgeben, so viel wir nur wollen, aber uns hüten, alles zu sagen, was wir zu wissen, oder erfahren zu haben glauben. Der erste, der erschrocken zu seinem Nachbar sagte, ich habe einen Geist gesehen, hatte vielleicht würklich Einen gesehen, aber er hätte schweigen sollen. Nun hat er allen Kindern und alten Weibern einen Floh ins Ohr gesetzt, sie glauben jetzt alle zu sehen, wo es nichts zu sehen giebt. lich außer dem gemeinen Weltlauf liegende Sachen gesehen. Jch denke uͤber diesen Punkt voͤllig wie eine gewisse aͤußerst schaͤtzbare und geistreiche Person, die ich zwar nicht gradezu anbete, aber doch innigst verehre; ein Weib nach meinem Herzen: kurz, die heilige Jungfrau. Diese hatte in ihrem Leben viel außerordentliche Dinge an sich erfahren, und viele sich an andern zutragen sehen. Aber es ist bekannt, daß sie alles bemerkte, und alles in ihr Herz verschloß. Die Erfahrung hat gezeigt, wie wohl sie daran gethan hat. Laßt uns dieses Beispiel nachahmen, laßt uns schwatzen, streiten, psychologische Magazine herausgeben, so viel wir nur wollen, aber uns huͤten, alles zu sagen, was wir zu wissen, oder erfahren zu haben glauben. Der erste, der erschrocken zu seinem Nachbar sagte, ich habe einen Geist gesehen, hatte vielleicht wuͤrklich Einen gesehen, aber er haͤtte schweigen sollen. Nun hat er allen Kindern und alten Weibern einen Floh ins Ohr gesetzt, sie glauben jetzt alle zu sehen, wo es nichts zu sehen giebt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0107" n="107"/><lb/> <p>lich außer dem gemeinen Weltlauf liegende Sachen gesehen. </p> <p>Jch denke uͤber diesen Punkt voͤllig wie eine gewisse aͤußerst schaͤtzbare und geistreiche Person, die ich zwar nicht gradezu anbete, aber doch innigst verehre; ein Weib nach meinem Herzen: kurz, die heilige Jungfrau. Diese hatte in ihrem Leben viel außerordentliche Dinge an sich erfahren, und viele sich an andern zutragen sehen. Aber es ist bekannt, daß sie alles bemerkte, und alles in ihr Herz verschloß. </p> <p>Die Erfahrung hat gezeigt, wie wohl sie daran gethan hat. Laßt uns dieses Beispiel nachahmen, laßt uns schwatzen, streiten, psychologische Magazine herausgeben, so viel wir nur wollen, aber uns huͤten, <hi rendition="#b">alles</hi> zu sagen, was wir zu <hi rendition="#b">wissen,</hi> oder <hi rendition="#b">erfahren</hi> zu haben glauben. </p> <p>Der erste, der erschrocken zu seinem Nachbar sagte, ich habe einen Geist gesehen, hatte vielleicht wuͤrklich Einen gesehen, aber er haͤtte schweigen sollen. Nun hat er allen Kindern und alten Weibern einen Floh ins Ohr gesetzt, sie glauben jetzt alle zu sehen, wo es nichts zu sehen giebt. </p> <p rendition="#right"> <hi rendition="#b"> <persName ref="#ref7"><note type="editorial">Goens, Rijklof Michael van</note>Van Goens.</persName> </hi> </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [107/0107]
lich außer dem gemeinen Weltlauf liegende Sachen gesehen.
Jch denke uͤber diesen Punkt voͤllig wie eine gewisse aͤußerst schaͤtzbare und geistreiche Person, die ich zwar nicht gradezu anbete, aber doch innigst verehre; ein Weib nach meinem Herzen: kurz, die heilige Jungfrau. Diese hatte in ihrem Leben viel außerordentliche Dinge an sich erfahren, und viele sich an andern zutragen sehen. Aber es ist bekannt, daß sie alles bemerkte, und alles in ihr Herz verschloß.
Die Erfahrung hat gezeigt, wie wohl sie daran gethan hat. Laßt uns dieses Beispiel nachahmen, laßt uns schwatzen, streiten, psychologische Magazine herausgeben, so viel wir nur wollen, aber uns huͤten, alles zu sagen, was wir zu wissen, oder erfahren zu haben glauben.
Der erste, der erschrocken zu seinem Nachbar sagte, ich habe einen Geist gesehen, hatte vielleicht wuͤrklich Einen gesehen, aber er haͤtte schweigen sollen. Nun hat er allen Kindern und alten Weibern einen Floh ins Ohr gesetzt, sie glauben jetzt alle zu sehen, wo es nichts zu sehen giebt.
Van Goens.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/107>, abgerufen am 16.02.2025. |