Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.
Wenn wir uns also die Erde wie einen sich fortbewegenden Punkt gedächten, so müßte sie sich in dem göttlichen Verstande wie ein Cirkel darstellen. Wenn wir sehen, daß sich etwas bewegt, so verändert sich bloß unsere Vorstellung von der Person oder Sache. Ein Mann steht unter einem Baume. Er geht weg. Jn meiner Seele bleibt noch das Bild von dem Manne der unterm Baume steht. Der Funke bewegt sich fort, an dem Orte aber, wo er selbst nicht mehr ist, ersetzt sein Bild in meiner Seele seine Stelle. Wenn ich mir den Mann zugleich unterm Baume und in seinem Hause vorstellen wollte, so müßte der Baum und sein Haus eins seyn. Das Bild des Untermbaumstehens liegt aber noch immer in der Seele, wenn auch der Mann schon wieder in seinem Hause ist. Das Untermbaumstehen war eben so wirklich als das Zuhauseseyn ist.
Wenn wir uns also die Erde wie einen sich fortbewegenden Punkt gedaͤchten, so muͤßte sie sich in dem goͤttlichen Verstande wie ein Cirkel darstellen. Wenn wir sehen, daß sich etwas bewegt, so veraͤndert sich bloß unsere Vorstellung von der Person oder Sache. Ein Mann steht unter einem Baume. Er geht weg. Jn meiner Seele bleibt noch das Bild von dem Manne der unterm Baume steht. Der Funke bewegt sich fort, an dem Orte aber, wo er selbst nicht mehr ist, ersetzt sein Bild in meiner Seele seine Stelle. Wenn ich mir den Mann zugleich unterm Baume und in seinem Hause vorstellen wollte, so muͤßte der Baum und sein Haus eins seyn. Das Bild des Untermbaumstehens liegt aber noch immer in der Seele, wenn auch der Mann schon wieder in seinem Hause ist. Das Untermbaumstehen war eben so wirklich als das Zuhauseseyn ist. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0066" n="66"/><lb/> merkt unser Auge einen Cirkel, welcher stille zu stehen scheinet. Weil die Bewegung sehr schnell ist, so koͤnnen wir uns auf einige Augenblicke, die Dinge welche aufeinander folgen, als nebeneinander vorstellen. Wir erblicken den Funken an allen Orten, wo er hinkoͤmmt, wo er jetzt ist, und wo er war, zugleich, und umfassen gleichsam im Kleinen das Gegenwaͤrtige, das Vergangene und das Zukuͤnftige mit einem Blicke. </p> <p>Wenn wir uns also die Erde wie einen sich fortbewegenden Punkt gedaͤchten, so muͤßte sie sich in dem goͤttlichen Verstande wie ein Cirkel darstellen. </p> <p>Wenn wir sehen, daß sich etwas bewegt, so veraͤndert sich bloß unsere Vorstellung von der Person oder Sache. Ein Mann steht unter einem Baume. Er geht weg. Jn meiner Seele bleibt noch das Bild von dem Manne der unterm Baume steht. Der Funke bewegt sich fort, an dem Orte aber, wo er selbst nicht mehr ist, ersetzt sein Bild in meiner Seele seine Stelle.</p> <p>Wenn ich mir den Mann zugleich unterm Baume und in seinem Hause vorstellen wollte, so muͤßte der Baum und sein Haus eins seyn. </p> <p>Das Bild des Untermbaumstehens liegt aber noch immer in der Seele, wenn auch der Mann schon wieder in seinem Hause ist. </p> <p>Das Untermbaumstehen war eben so wirklich als das Zuhauseseyn ist. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0066]
merkt unser Auge einen Cirkel, welcher stille zu stehen scheinet. Weil die Bewegung sehr schnell ist, so koͤnnen wir uns auf einige Augenblicke, die Dinge welche aufeinander folgen, als nebeneinander vorstellen. Wir erblicken den Funken an allen Orten, wo er hinkoͤmmt, wo er jetzt ist, und wo er war, zugleich, und umfassen gleichsam im Kleinen das Gegenwaͤrtige, das Vergangene und das Zukuͤnftige mit einem Blicke.
Wenn wir uns also die Erde wie einen sich fortbewegenden Punkt gedaͤchten, so muͤßte sie sich in dem goͤttlichen Verstande wie ein Cirkel darstellen.
Wenn wir sehen, daß sich etwas bewegt, so veraͤndert sich bloß unsere Vorstellung von der Person oder Sache. Ein Mann steht unter einem Baume. Er geht weg. Jn meiner Seele bleibt noch das Bild von dem Manne der unterm Baume steht. Der Funke bewegt sich fort, an dem Orte aber, wo er selbst nicht mehr ist, ersetzt sein Bild in meiner Seele seine Stelle.
Wenn ich mir den Mann zugleich unterm Baume und in seinem Hause vorstellen wollte, so muͤßte der Baum und sein Haus eins seyn.
Das Bild des Untermbaumstehens liegt aber noch immer in der Seele, wenn auch der Mann schon wieder in seinem Hause ist.
Das Untermbaumstehen war eben so wirklich als das Zuhauseseyn ist.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/66>, abgerufen am 27.07.2024. |