Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.7. Sonderbare Zweifel und Trostgründe eines hypochondrischen Metaphysikers. ![]() Die Ewigkeit, welche wir uns bei Gott denken, ist wesentlich von derjenigen unterschieden, welche wir hoffen. Denn dieses ist immer nur Zeit. Jmmer nur eine Folge vom Denken, die Gott mit einemmale zusammenfaßt, so daß seine Ewigkeit in einem Augenblick zusammenfließt. Bei ihm ist keine Folge. -- Dies ist einer der erhabensten Gedanken, den die menschliche Seele denken kann. Wie kam sie zu diesem Gedanken? Und enthält er keinen Widerspuch? Jst es wohl möglich, daß man sich das, was aufeinander folgt, als nebeneinander denken könne? Daß uns die Dinge in der Welt aufeinander zu folgen scheinen, ist das Resultat unsrer Unvollkommenheit. Weil wir uns nicht mehrere Dinge auf einmal vorstellen können, so müssen wir warten, bis das eine erst vorüber ist, ehe wir das andre betrachten können. Die Folge der Dinge wäre also bloß ein Verhältniß gegen uns, und eigentlich nichts Wirkliches. Wenn ich eine Stadt besehen will, und befinde mich unten an dem Ende, so muß ich eine Straße nach der andern durchgehn, und es 7. Sonderbare Zweifel und Trostgruͤnde eines hypochondrischen Metaphysikers. ![]() Die Ewigkeit, welche wir uns bei Gott denken, ist wesentlich von derjenigen unterschieden, welche wir hoffen. Denn dieses ist immer nur Zeit. Jmmer nur eine Folge vom Denken, die Gott mit einemmale zusammenfaßt, so daß seine Ewigkeit in einem Augenblick zusammenfließt. Bei ihm ist keine Folge. — Dies ist einer der erhabensten Gedanken, den die menschliche Seele denken kann. Wie kam sie zu diesem Gedanken? Und enthaͤlt er keinen Widerspuch? Jst es wohl moͤglich, daß man sich das, was aufeinander folgt, als nebeneinander denken koͤnne? Daß uns die Dinge in der Welt aufeinander zu folgen scheinen, ist das Resultat unsrer Unvollkommenheit. Weil wir uns nicht mehrere Dinge auf einmal vorstellen koͤnnen, so muͤssen wir warten, bis das eine erst voruͤber ist, ehe wir das andre betrachten koͤnnen. Die Folge der Dinge waͤre also bloß ein Verhaͤltniß gegen uns, und eigentlich nichts Wirkliches. Wenn ich eine Stadt besehen will, und befinde mich unten an dem Ende, so muß ich eine Straße nach der andern durchgehn, und es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0064" n="64"/><lb/><lb/> </div> <div n="3"> <head>7. Sonderbare Zweifel und Trostgruͤnde eines hypochondrischen Metaphysikers.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref1"><note type="editorial"/><=Moritz, Karl Philipp></persName> </bibl> </note> <p>Die Ewigkeit, welche wir uns bei Gott denken, ist wesentlich von derjenigen unterschieden, welche wir hoffen. Denn dieses ist immer nur Zeit. Jmmer nur eine Folge vom Denken, die Gott mit einemmale zusammenfaßt, so daß seine Ewigkeit in einem Augenblick zusammenfließt. Bei ihm ist keine Folge. — </p> <p>Dies ist einer der erhabensten Gedanken, den die menschliche Seele denken kann. Wie kam sie zu diesem Gedanken? Und enthaͤlt er keinen Widerspuch? Jst es wohl moͤglich, daß man sich das, was aufeinander folgt, als nebeneinander denken koͤnne? </p> <p>Daß uns die Dinge in der Welt aufeinander zu folgen scheinen, ist das Resultat unsrer Unvollkommenheit. Weil wir uns nicht mehrere Dinge auf einmal vorstellen koͤnnen, so muͤssen wir warten, bis das eine erst voruͤber ist, ehe wir das andre betrachten koͤnnen. Die Folge der Dinge waͤre also bloß ein Verhaͤltniß gegen uns, und eigentlich nichts Wirkliches. Wenn ich eine Stadt besehen will, und befinde mich unten an dem Ende, so muß ich eine Straße nach der andern durchgehn, und es<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0064]
7. Sonderbare Zweifel und Trostgruͤnde eines hypochondrischen Metaphysikers.
Die Ewigkeit, welche wir uns bei Gott denken, ist wesentlich von derjenigen unterschieden, welche wir hoffen. Denn dieses ist immer nur Zeit. Jmmer nur eine Folge vom Denken, die Gott mit einemmale zusammenfaßt, so daß seine Ewigkeit in einem Augenblick zusammenfließt. Bei ihm ist keine Folge. —
Dies ist einer der erhabensten Gedanken, den die menschliche Seele denken kann. Wie kam sie zu diesem Gedanken? Und enthaͤlt er keinen Widerspuch? Jst es wohl moͤglich, daß man sich das, was aufeinander folgt, als nebeneinander denken koͤnne?
Daß uns die Dinge in der Welt aufeinander zu folgen scheinen, ist das Resultat unsrer Unvollkommenheit. Weil wir uns nicht mehrere Dinge auf einmal vorstellen koͤnnen, so muͤssen wir warten, bis das eine erst voruͤber ist, ehe wir das andre betrachten koͤnnen. Die Folge der Dinge waͤre also bloß ein Verhaͤltniß gegen uns, und eigentlich nichts Wirkliches. Wenn ich eine Stadt besehen will, und befinde mich unten an dem Ende, so muß ich eine Straße nach der andern durchgehn, und es
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/64>, abgerufen am 27.07.2024. |