Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.
Es würde daher, um doch für beides ein, und wo nicht bedeutendes, doch wenigstens nicht unrichtiges Wort zu haben, weiter nichts übrig zu bleiben, als: die Seele denkt sich eine Größe, sie denkt sich einen Ton. Wie denkt sich nun aber die Seele eine Größe, und wie denkt sie sich einen Ton? Ueberhaupt könnte man wohl sagen: die Seele denkt sich eine Größe als etwas Sichtbares, sie denkt sich einen Ton als etwas Hörbares. Man könnte wohl sagen, da das Denken doch bloß in ihr vorgeht: Sie sieht in sich eine Größe, sie hört in sich einen Ton. Wie geht es aber zu, daß sie in sich eine Größe sieht und einen Ton hört? Man könnte sagen: sie stellt sich eine Größe vor, oder sie stellt eine Größe vor sich und sieht sie; sie bringt einen Ton hervor und hört ihn. Wie kann man aber zu gleicher Zeit sagen, sie stellt sich eine Größe vor, und sie stellt sie in sich; denn wenn man sagt, sie stellt sich eine Größe in sich vor, so will das doch wohl so viel sagen, als, sie stellt dieselbe vor sich, und stellt sie auch zu gleicher Zeit in sich.
Es wuͤrde daher, um doch fuͤr beides ein, und wo nicht bedeutendes, doch wenigstens nicht unrichtiges Wort zu haben, weiter nichts uͤbrig zu bleiben, als: die Seele denkt sich eine Groͤße, sie denkt sich einen Ton. Wie denkt sich nun aber die Seele eine Groͤße, und wie denkt sie sich einen Ton? Ueberhaupt koͤnnte man wohl sagen: die Seele denkt sich eine Groͤße als etwas Sichtbares, sie denkt sich einen Ton als etwas Hoͤrbares. Man koͤnnte wohl sagen, da das Denken doch bloß in ihr vorgeht: Sie sieht in sich eine Groͤße, sie hoͤrt in sich einen Ton. Wie geht es aber zu, daß sie in sich eine Groͤße sieht und einen Ton hoͤrt? Man koͤnnte sagen: sie stellt sich eine Groͤße vor, oder sie stellt eine Groͤße vor sich und sieht sie; sie bringt einen Ton hervor und hoͤrt ihn. Wie kann man aber zu gleicher Zeit sagen, sie stellt sich eine Groͤße vor, und sie stellt sie in sich; denn wenn man sagt, sie stellt sich eine Groͤße in sich vor, so will das doch wohl so viel sagen, als, sie stellt dieselbe vor sich, und stellt sie auch zu gleicher Zeit in sich. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0046" n="46"/><lb/> lungsart der Seele noch kein Wort vorhanden zu seyn. Ja man kann wohl eigentlich nicht einmal sagen, daß die Seele sich einen Ton <hi rendition="#b">vorstelle,</hi> weil auch dies schon auf etwas Sichtbares Bezug zu haben scheint. </p> <p>Es wuͤrde daher, um doch fuͤr beides <hi rendition="#b">ein,</hi> und wo nicht bedeutendes, doch wenigstens nicht unrichtiges Wort zu haben, weiter nichts uͤbrig zu bleiben, als: die Seele <hi rendition="#b">denkt</hi> sich eine Groͤße, sie <hi rendition="#b">denkt</hi> sich einen Ton.</p> <p><hi rendition="#b">Wie</hi> denkt sich nun aber die Seele eine Groͤße, und <hi rendition="#b">wie</hi> denkt sie sich einen Ton?</p> <p>Ueberhaupt koͤnnte man wohl sagen: die Seele denkt sich eine Groͤße als etwas Sichtbares, sie denkt sich einen Ton als etwas Hoͤrbares. Man koͤnnte wohl sagen, da das Denken doch bloß <hi rendition="#b">in</hi> ihr vorgeht: Sie <hi rendition="#b">sieht in sich</hi> eine Groͤße, sie <hi rendition="#b">hoͤrt in sich</hi> einen Ton. </p> <p>Wie geht es aber zu, daß sie <hi rendition="#b">in</hi> sich eine Groͤße sieht und einen Ton hoͤrt? </p> <p>Man koͤnnte sagen: sie stellt sich eine Groͤße vor, oder sie stellt eine Groͤße vor sich und sieht sie; sie bringt einen Ton hervor und hoͤrt ihn. </p> <p>Wie kann man aber zu gleicher Zeit sagen, sie stellt sich eine Groͤße <hi rendition="#b">vor,</hi> und sie stellt sie <hi rendition="#b">in</hi> sich; denn wenn man sagt, sie stellt sich eine Groͤße <hi rendition="#b">in</hi> sich <hi rendition="#b">vor,</hi> so will das doch wohl so viel sagen, als, sie stellt dieselbe <hi rendition="#b">vor</hi> sich, und stellt sie auch zu gleicher Zeit <hi rendition="#b">in</hi> sich.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0046]
lungsart der Seele noch kein Wort vorhanden zu seyn. Ja man kann wohl eigentlich nicht einmal sagen, daß die Seele sich einen Ton vorstelle, weil auch dies schon auf etwas Sichtbares Bezug zu haben scheint.
Es wuͤrde daher, um doch fuͤr beides ein, und wo nicht bedeutendes, doch wenigstens nicht unrichtiges Wort zu haben, weiter nichts uͤbrig zu bleiben, als: die Seele denkt sich eine Groͤße, sie denkt sich einen Ton.
Wie denkt sich nun aber die Seele eine Groͤße, und wie denkt sie sich einen Ton?
Ueberhaupt koͤnnte man wohl sagen: die Seele denkt sich eine Groͤße als etwas Sichtbares, sie denkt sich einen Ton als etwas Hoͤrbares. Man koͤnnte wohl sagen, da das Denken doch bloß in ihr vorgeht: Sie sieht in sich eine Groͤße, sie hoͤrt in sich einen Ton.
Wie geht es aber zu, daß sie in sich eine Groͤße sieht und einen Ton hoͤrt?
Man koͤnnte sagen: sie stellt sich eine Groͤße vor, oder sie stellt eine Groͤße vor sich und sieht sie; sie bringt einen Ton hervor und hoͤrt ihn.
Wie kann man aber zu gleicher Zeit sagen, sie stellt sich eine Groͤße vor, und sie stellt sie in sich; denn wenn man sagt, sie stellt sich eine Groͤße in sich vor, so will das doch wohl so viel sagen, als, sie stellt dieselbe vor sich, und stellt sie auch zu gleicher Zeit in sich.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/46>, abgerufen am 27.07.2024. |