Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.
Die Leiden der Poesie. Können daher wohl in jedem Betracht eine eigene Rubrik in Reisers Lebensgeschichte ausmachen, welche seinen innern und äußern Zustand in allen Verhältnissen darstellen soll, und wodurch dasjenige gerügt werden soll, was bei so vielen Menschen ihr ganzes Leben hindurch, ihnen selbst unbewußt, und im Dunkeln verborgen bleibt, weil sie Scheu tragen, bis auf den Grund und die Quelle ihrer unangenehmen Empfindungen zurückzugehen. Diese geheimen Leiden waren es, womit Reiser beinahe von seiner Kindheit an zu kämpfen hatte. Wenn ihn der Reiz der Dichtkunst unwillkührlich anwandelte, so entstand zuerst eine wehmüthige Empfindung in seiner Seele; er dachte sich ein Etwas, worin er sich selbst verlohr, wogegen alles, was er je gehört, gelesen oder gedacht hatte, sich verlohr, und dessen Daseyn, wenn es nun wirklich von ihm dargestalt wäre, ein bisher noch ungefühltes, unnennbares Vergnügen verursachen würde.
Die Leiden der Poesie. Koͤnnen daher wohl in jedem Betracht eine eigene Rubrik in Reisers Lebensgeschichte ausmachen, welche seinen innern und aͤußern Zustand in allen Verhaͤltnissen darstellen soll, und wodurch dasjenige geruͤgt werden soll, was bei so vielen Menschen ihr ganzes Leben hindurch, ihnen selbst unbewußt, und im Dunkeln verborgen bleibt, weil sie Scheu tragen, bis auf den Grund und die Quelle ihrer unangenehmen Empfindungen zuruͤckzugehen. Diese geheimen Leiden waren es, womit Reiser beinahe von seiner Kindheit an zu kaͤmpfen hatte. Wenn ihn der Reiz der Dichtkunst unwillkuͤhrlich anwandelte, so entstand zuerst eine wehmuͤthige Empfindung in seiner Seele; er dachte sich ein Etwas, worin er sich selbst verlohr, wogegen alles, was er je gehoͤrt, gelesen oder gedacht hatte, sich verlohr, und dessen Daseyn, wenn es nun wirklich von ihm dargestalt waͤre, ein bisher noch ungefuͤhltes, unnennbares Vergnuͤgen verursachen wuͤrde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0028" n="28"/><lb/> Die ganze Natur und alle seine eigenen Gedanken hatten dann ihren Reiz fuͤr ihn verlohren, jeder Moment war ihm druͤckend, und das Leben war ihm im eigentlichen Verstande eine Quaal. </p> <div n="4"> <head>Die Leiden der Poesie.</head><lb/> <p>Koͤnnen daher wohl in jedem Betracht eine eigene Rubrik in Reisers Lebensgeschichte ausmachen, welche seinen innern und aͤußern Zustand in allen Verhaͤltnissen darstellen soll, und wodurch dasjenige geruͤgt werden soll, was bei so vielen Menschen ihr ganzes Leben hindurch, ihnen selbst unbewußt, und im Dunkeln verborgen bleibt, weil sie Scheu tragen, bis auf den Grund und die Quelle ihrer unangenehmen Empfindungen zuruͤckzugehen.</p> <p>Diese geheimen Leiden waren es, womit Reiser beinahe von seiner Kindheit an zu kaͤmpfen hatte. </p> <p>Wenn ihn der Reiz der Dichtkunst unwillkuͤhrlich anwandelte, so entstand zuerst eine wehmuͤthige Empfindung in seiner Seele; er dachte sich ein Etwas, worin er sich selbst verlohr, wogegen alles, was er je gehoͤrt, gelesen oder gedacht hatte, sich verlohr, und dessen Daseyn, wenn es nun wirklich von ihm dargestalt waͤre, ein bisher noch ungefuͤhltes, unnennbares Vergnuͤgen verursachen wuͤrde. </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [28/0028]
Die ganze Natur und alle seine eigenen Gedanken hatten dann ihren Reiz fuͤr ihn verlohren, jeder Moment war ihm druͤckend, und das Leben war ihm im eigentlichen Verstande eine Quaal.
Die Leiden der Poesie.
Koͤnnen daher wohl in jedem Betracht eine eigene Rubrik in Reisers Lebensgeschichte ausmachen, welche seinen innern und aͤußern Zustand in allen Verhaͤltnissen darstellen soll, und wodurch dasjenige geruͤgt werden soll, was bei so vielen Menschen ihr ganzes Leben hindurch, ihnen selbst unbewußt, und im Dunkeln verborgen bleibt, weil sie Scheu tragen, bis auf den Grund und die Quelle ihrer unangenehmen Empfindungen zuruͤckzugehen.
Diese geheimen Leiden waren es, womit Reiser beinahe von seiner Kindheit an zu kaͤmpfen hatte.
Wenn ihn der Reiz der Dichtkunst unwillkuͤhrlich anwandelte, so entstand zuerst eine wehmuͤthige Empfindung in seiner Seele; er dachte sich ein Etwas, worin er sich selbst verlohr, wogegen alles, was er je gehoͤrt, gelesen oder gedacht hatte, sich verlohr, und dessen Daseyn, wenn es nun wirklich von ihm dargestalt waͤre, ein bisher noch ungefuͤhltes, unnennbares Vergnuͤgen verursachen wuͤrde.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |