Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.
Seine Mutter hatte noch zwei Schwestern an andern Orten wohnen, an welche sie zuweilen schrieb. Da sie doch aber nicht gut mit dem Schreiben fertig werden konnte, so wählte sie ihn bald zu ihrem Sekretär, da sie ihm dann diktirte und er schrieb. Diese Briefe enthielten nun besonders die mehrste Zeit bittere betrübte und traurige Klagen über ihre unglückliche Ehe, wobei K...s Vater oftmals eben nicht in dem besten Lichte erschien. Weswegen diese Briefe dann auch in Abwesenheit desselben geschrieben, und K... wegen dieses Punkts ein unverbrüchliches Stillschweigen von seiner Mutter auferlegt wurde, welches er auch immer auf das Genaueste beobachtete. Er war nun so zu sagen der Vertraute ihres Herzens, gegen seinen Vater, demohngeachtet aber vermahnte sie ihn immer, seine Eltern in Ehren zu halten, vorzüglich mit den Worten des vierten Gebots, und: des Vaters Segen bauet den Kindern Häuser, aber der Mutter Fluch reißet sie nieder; durch welche letztern Worte sie denn doch immer der Mutter einen kleinen Vorzug vor dem Vater geben zu wollen schien. K... behielt unterdessen bei aller Vertraulichkeit der Mutter gegen ihn, immer eine gleiche Ehrfurcht gegen seine Eltern, weil sich sein Vater doch
Seine Mutter hatte noch zwei Schwestern an andern Orten wohnen, an welche sie zuweilen schrieb. Da sie doch aber nicht gut mit dem Schreiben fertig werden konnte, so waͤhlte sie ihn bald zu ihrem Sekretaͤr, da sie ihm dann diktirte und er schrieb. Diese Briefe enthielten nun besonders die mehrste Zeit bittere betruͤbte und traurige Klagen uͤber ihre ungluͤckliche Ehe, wobei K...s Vater oftmals eben nicht in dem besten Lichte erschien. Weswegen diese Briefe dann auch in Abwesenheit desselben geschrieben, und K... wegen dieses Punkts ein unverbruͤchliches Stillschweigen von seiner Mutter auferlegt wurde, welches er auch immer auf das Genaueste beobachtete. Er war nun so zu sagen der Vertraute ihres Herzens, gegen seinen Vater, demohngeachtet aber vermahnte sie ihn immer, seine Eltern in Ehren zu halten, vorzuͤglich mit den Worten des vierten Gebots, und: des Vaters Segen bauet den Kindern Haͤuser, aber der Mutter Fluch reißet sie nieder; durch welche letztern Worte sie denn doch immer der Mutter einen kleinen Vorzug vor dem Vater geben zu wollen schien. K... behielt unterdessen bei aller Vertraulichkeit der Mutter gegen ihn, immer eine gleiche Ehrfurcht gegen seine Eltern, weil sich sein Vater doch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0115" n="115"/><lb/> statt <hi rendition="#b">du</hi> zu ihr zu sagen, sie in der zweiten Person anzureden.</p> <p>Seine Mutter hatte noch zwei Schwestern an andern Orten wohnen, an welche sie zuweilen schrieb. Da sie doch aber nicht gut mit dem Schreiben fertig werden konnte, so waͤhlte sie ihn bald zu ihrem Sekretaͤr, da sie ihm dann diktirte und er schrieb. Diese Briefe enthielten nun besonders die mehrste Zeit bittere betruͤbte und traurige Klagen uͤber ihre ungluͤckliche Ehe, wobei K...s Vater oftmals eben nicht in dem besten Lichte erschien. Weswegen diese Briefe dann auch in Abwesenheit desselben geschrieben, und K... wegen dieses Punkts ein unverbruͤchliches Stillschweigen von seiner Mutter auferlegt wurde, welches er auch immer auf das Genaueste beobachtete. Er war nun so zu sagen der Vertraute ihres Herzens, gegen seinen Vater, demohngeachtet aber vermahnte sie ihn immer, seine Eltern in Ehren zu halten, vorzuͤglich mit den Worten des vierten Gebots, und: des Vaters Segen bauet den Kindern Haͤuser, aber der Mutter Fluch reißet sie nieder; durch welche letztern Worte sie denn doch immer der Mutter einen kleinen Vorzug vor dem Vater geben zu wollen schien.</p> <p>K... behielt unterdessen bei aller Vertraulichkeit der Mutter gegen ihn, immer eine gleiche Ehrfurcht gegen seine Eltern, weil sich sein Vater doch<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [115/0115]
statt du zu ihr zu sagen, sie in der zweiten Person anzureden.
Seine Mutter hatte noch zwei Schwestern an andern Orten wohnen, an welche sie zuweilen schrieb. Da sie doch aber nicht gut mit dem Schreiben fertig werden konnte, so waͤhlte sie ihn bald zu ihrem Sekretaͤr, da sie ihm dann diktirte und er schrieb. Diese Briefe enthielten nun besonders die mehrste Zeit bittere betruͤbte und traurige Klagen uͤber ihre ungluͤckliche Ehe, wobei K...s Vater oftmals eben nicht in dem besten Lichte erschien. Weswegen diese Briefe dann auch in Abwesenheit desselben geschrieben, und K... wegen dieses Punkts ein unverbruͤchliches Stillschweigen von seiner Mutter auferlegt wurde, welches er auch immer auf das Genaueste beobachtete. Er war nun so zu sagen der Vertraute ihres Herzens, gegen seinen Vater, demohngeachtet aber vermahnte sie ihn immer, seine Eltern in Ehren zu halten, vorzuͤglich mit den Worten des vierten Gebots, und: des Vaters Segen bauet den Kindern Haͤuser, aber der Mutter Fluch reißet sie nieder; durch welche letztern Worte sie denn doch immer der Mutter einen kleinen Vorzug vor dem Vater geben zu wollen schien.
K... behielt unterdessen bei aller Vertraulichkeit der Mutter gegen ihn, immer eine gleiche Ehrfurcht gegen seine Eltern, weil sich sein Vater doch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |