Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.
Bei diesem Zustande studirte ich wie vorher fleißig, allein ohne sonderlichen Nutzen, weil meine Aufmerksamkeit allemal getheilt, und halb auf meine Arbeit, halb auf N.. gerichtet war. Allen meinen Freunden, ausser einem, verbarg ich meinen nagenden Kummer. Jch war oft in ihrer Gesellschaft froh und heiter, öfterer aber mürrisch, sprachlos, in mich selbst gekehrt, untheilnehmend, weil N.. mich allein interessirte, und mir nichts wichtig schien, als was auf ihn Bezug hatte. Vielleicht hätte Zerstreuung meine Leidenschaft gemindert, allein ich war größtentheils einsam, und kam auch sogar mit meinen Freunden nicht oft zusammen. Bisweilen hatte ich ruhigere Augenblicke, wo die Vernunft in ihre Rechte wieder eintrat, und mich ganz das Thörigte meines Zustandes erkennen ließ; allein meine Leidenschaft schien dann nur zu schlafen, um neue Kräfte zu sammeln, damit sie mit desto größerer Heftigkeit wieder hervorbrechen könnte. Jch wagte es nicht, mich in N..s Bekanntschaft zu drängen, weil er, obschon wie ich von bürgerlicher Herkunft, doch einen Vater hatte, der sowohl
Bei diesem Zustande studirte ich wie vorher fleißig, allein ohne sonderlichen Nutzen, weil meine Aufmerksamkeit allemal getheilt, und halb auf meine Arbeit, halb auf N.. gerichtet war. Allen meinen Freunden, ausser einem, verbarg ich meinen nagenden Kummer. Jch war oft in ihrer Gesellschaft froh und heiter, oͤfterer aber muͤrrisch, sprachlos, in mich selbst gekehrt, untheilnehmend, weil N.. mich allein interessirte, und mir nichts wichtig schien, als was auf ihn Bezug hatte. Vielleicht haͤtte Zerstreuung meine Leidenschaft gemindert, allein ich war groͤßtentheils einsam, und kam auch sogar mit meinen Freunden nicht oft zusammen. Bisweilen hatte ich ruhigere Augenblicke, wo die Vernunft in ihre Rechte wieder eintrat, und mich ganz das Thoͤrigte meines Zustandes erkennen ließ; allein meine Leidenschaft schien dann nur zu schlafen, um neue Kraͤfte zu sammeln, damit sie mit desto groͤßerer Heftigkeit wieder hervorbrechen koͤnnte. Jch wagte es nicht, mich in N..s Bekanntschaft zu draͤngen, weil er, obschon wie ich von buͤrgerlicher Herkunft, doch einen Vater hatte, der sowohl <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0104" n="104"/><lb/> daß ich mir diese Frage verneinen mußte. Eines Abends aber, zu welcher Zeit, wie schon gesagt, meine Leidenschaft allemal am staͤrksten war, als sich ein heftiger Sturm erhoben hatte, uͤberredete ich mich wirklich eine zeitlang, daß der Sturm sogleich nachlassen wuͤrde, wenn N.. sich auf der Gasse befaͤnde.</p> <p>Bei diesem Zustande studirte ich wie vorher fleißig, allein ohne sonderlichen Nutzen, weil meine Aufmerksamkeit allemal getheilt, und halb auf meine Arbeit, halb auf N.. gerichtet war. Allen meinen Freunden, ausser einem, verbarg ich meinen nagenden Kummer. Jch war oft in ihrer Gesellschaft froh und heiter, oͤfterer aber muͤrrisch, sprachlos, in mich selbst gekehrt, untheilnehmend, weil N.. mich allein interessirte, und mir nichts wichtig schien, als was auf ihn Bezug hatte. Vielleicht haͤtte Zerstreuung meine Leidenschaft gemindert, allein ich war groͤßtentheils einsam, und kam auch sogar mit meinen Freunden nicht oft zusammen.</p> <p>Bisweilen hatte ich ruhigere Augenblicke, wo die Vernunft in ihre Rechte wieder eintrat, und mich ganz das Thoͤrigte meines Zustandes erkennen ließ; allein meine Leidenschaft schien dann nur zu schlafen, um neue Kraͤfte zu sammeln, damit sie mit desto groͤßerer Heftigkeit wieder hervorbrechen koͤnnte.</p> <p>Jch wagte es nicht, mich in N..s Bekanntschaft zu draͤngen, weil er, obschon wie ich von buͤrgerlicher Herkunft, doch einen Vater hatte, der sowohl<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0104]
daß ich mir diese Frage verneinen mußte. Eines Abends aber, zu welcher Zeit, wie schon gesagt, meine Leidenschaft allemal am staͤrksten war, als sich ein heftiger Sturm erhoben hatte, uͤberredete ich mich wirklich eine zeitlang, daß der Sturm sogleich nachlassen wuͤrde, wenn N.. sich auf der Gasse befaͤnde.
Bei diesem Zustande studirte ich wie vorher fleißig, allein ohne sonderlichen Nutzen, weil meine Aufmerksamkeit allemal getheilt, und halb auf meine Arbeit, halb auf N.. gerichtet war. Allen meinen Freunden, ausser einem, verbarg ich meinen nagenden Kummer. Jch war oft in ihrer Gesellschaft froh und heiter, oͤfterer aber muͤrrisch, sprachlos, in mich selbst gekehrt, untheilnehmend, weil N.. mich allein interessirte, und mir nichts wichtig schien, als was auf ihn Bezug hatte. Vielleicht haͤtte Zerstreuung meine Leidenschaft gemindert, allein ich war groͤßtentheils einsam, und kam auch sogar mit meinen Freunden nicht oft zusammen.
Bisweilen hatte ich ruhigere Augenblicke, wo die Vernunft in ihre Rechte wieder eintrat, und mich ganz das Thoͤrigte meines Zustandes erkennen ließ; allein meine Leidenschaft schien dann nur zu schlafen, um neue Kraͤfte zu sammeln, damit sie mit desto groͤßerer Heftigkeit wieder hervorbrechen koͤnnte.
Jch wagte es nicht, mich in N..s Bekanntschaft zu draͤngen, weil er, obschon wie ich von buͤrgerlicher Herkunft, doch einen Vater hatte, der sowohl
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/104>, abgerufen am 27.07.2024. |