Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.
Wäre dies bei N.... auch der Fall gewesen, so würde er bei seinen Freunden nicht leicht etwas Anstößiges gefunden haben; und da er an ihnen einen Anstoß bekam, so war dies ein Zeichen, daß seine Denkkraft ihrer Bande entledigt sich nicht mehr einschränken ließ. Und daher war es denn auch ganz natürlich, daß er weder eigensinniger Weise bei dem Alten blieb, noch jedes sich zuerst darbietende Neue unüberlegter Weise gleich wieder an dessen Stelle setzte. Der neuen Freiheit ungewohnt, wagten es seine Gedanken nun freilich nicht, sich derselben gleich recht zu bedienen; und es war daher auch ganz natürlich, daß er manches ihm Auffallende anfänglich für Versuchung hielt, weil er es nicht wagen mogte, sich recht bekannt damit zu machen, und er daher nur die wenigen Jahre vor seinem Ende so weit von Vorurtheilen frei lebte, als es zu dem gewöhnlichen Glücke des Menschenlebens nöthig war.
Waͤre dies bei N.... auch der Fall gewesen, so wuͤrde er bei seinen Freunden nicht leicht etwas Anstoͤßiges gefunden haben; und da er an ihnen einen Anstoß bekam, so war dies ein Zeichen, daß seine Denkkraft ihrer Bande entledigt sich nicht mehr einschraͤnken ließ. Und daher war es denn auch ganz natuͤrlich, daß er weder eigensinniger Weise bei dem Alten blieb, noch jedes sich zuerst darbietende Neue unuͤberlegter Weise gleich wieder an dessen Stelle setzte. Der neuen Freiheit ungewohnt, wagten es seine Gedanken nun freilich nicht, sich derselben gleich recht zu bedienen; und es war daher auch ganz natuͤrlich, daß er manches ihm Auffallende anfaͤnglich fuͤr Versuchung hielt, weil er es nicht wagen mogte, sich recht bekannt damit zu machen, und er daher nur die wenigen Jahre vor seinem Ende so weit von Vorurtheilen frei lebte, als es zu dem gewoͤhnlichen Gluͤcke des Menschenlebens noͤthig war. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0100" n="100"/><lb/> ches Sonderbare, welches ihnen an demjenigen, der mit ihnen nach einem Ziele strebt, auffaͤllt, fuͤr einen hoͤhern Grad von Vollkommenheit zu halten, und sich solches zu eigen zu machen.</p> <p>Waͤre dies bei N.... auch der Fall gewesen, so wuͤrde er bei seinen Freunden nicht leicht etwas Anstoͤßiges gefunden haben; und da er an ihnen einen Anstoß bekam, so war dies ein Zeichen, daß seine Denkkraft ihrer Bande entledigt sich nicht mehr einschraͤnken ließ.</p> <p>Und daher war es denn auch ganz natuͤrlich, daß er weder eigensinniger Weise bei dem Alten blieb, noch jedes sich zuerst darbietende Neue unuͤberlegter Weise gleich wieder an dessen Stelle setzte.</p> <p>Der neuen Freiheit ungewohnt, wagten es seine Gedanken nun freilich nicht, sich derselben gleich recht zu bedienen; und es war daher auch ganz natuͤrlich, daß er manches ihm Auffallende anfaͤnglich fuͤr Versuchung hielt, weil er es nicht wagen mogte, sich recht bekannt damit zu machen, und er daher nur die wenigen Jahre vor seinem Ende so weit von Vorurtheilen frei lebte, als es zu dem <hi rendition="#b">gewoͤhnlichen</hi> Gluͤcke des Menschenlebens noͤthig war.</p> <p rendition="#right"> <hi rendition="#b"> <persName ref="#ref19"><note type="editorial">Moritz, Johann Christian Conrad</note>K. St.</persName> </hi> </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [100/0100]
ches Sonderbare, welches ihnen an demjenigen, der mit ihnen nach einem Ziele strebt, auffaͤllt, fuͤr einen hoͤhern Grad von Vollkommenheit zu halten, und sich solches zu eigen zu machen.
Waͤre dies bei N.... auch der Fall gewesen, so wuͤrde er bei seinen Freunden nicht leicht etwas Anstoͤßiges gefunden haben; und da er an ihnen einen Anstoß bekam, so war dies ein Zeichen, daß seine Denkkraft ihrer Bande entledigt sich nicht mehr einschraͤnken ließ.
Und daher war es denn auch ganz natuͤrlich, daß er weder eigensinniger Weise bei dem Alten blieb, noch jedes sich zuerst darbietende Neue unuͤberlegter Weise gleich wieder an dessen Stelle setzte.
Der neuen Freiheit ungewohnt, wagten es seine Gedanken nun freilich nicht, sich derselben gleich recht zu bedienen; und es war daher auch ganz natuͤrlich, daß er manches ihm Auffallende anfaͤnglich fuͤr Versuchung hielt, weil er es nicht wagen mogte, sich recht bekannt damit zu machen, und er daher nur die wenigen Jahre vor seinem Ende so weit von Vorurtheilen frei lebte, als es zu dem gewoͤhnlichen Gluͤcke des Menschenlebens noͤthig war.
K. St.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/100>, abgerufen am 27.07.2024. |