Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.
Den 20. März Abends. Trauern will ich, aber ich will mich nicht an Gott versündigen! Jch will mich nun einmal mit Muth und Entschlossenheit wafnen, und auch die Bitterkeiten des Lebens ertragen lernen! Wie leicht würde es mir jetzt seyn, von dem Leben Abschied zu nehmen! Aber ich will den Muth doch nicht sinken lassen. Heute will ich weinen. Vielleicht heitert sich Morgen mein Schicksal wieder auf. Aber warum bin ich denn so niedergeschlagen? Ach, meine Absicht war nicht rein, bei meinem Unternehmen; wäre sie das gewesen, so würde ich mich damit beruhigen, daß meine Arbeit gut gemeint war. Aber ich that's aus Ehrfurcht, und der Nutzen, den es stiften sollte, war nur der Deckmantel meiner Leidenschaft, nun diese nicht befriediget wird, weine und klage ich. O vergieb mir diese sündlichen Thränen, die ich weine, Barmherziger! Jch schaudre vor mir selbst! Gott, was bin ich! welch ein fürchterlicher Gedanke! indem ich zu dir bete, fühle ich es, daß ich noch im Jnnersten meiner Seele an deinem Daseyn zweifle.
Den 20. Maͤrz Abends. Trauern will ich, aber ich will mich nicht an Gott versuͤndigen! Jch will mich nun einmal mit Muth und Entschlossenheit wafnen, und auch die Bitterkeiten des Lebens ertragen lernen! Wie leicht wuͤrde es mir jetzt seyn, von dem Leben Abschied zu nehmen! Aber ich will den Muth doch nicht sinken lassen. Heute will ich weinen. Vielleicht heitert sich Morgen mein Schicksal wieder auf. Aber warum bin ich denn so niedergeschlagen? Ach, meine Absicht war nicht rein, bei meinem Unternehmen; waͤre sie das gewesen, so wuͤrde ich mich damit beruhigen, daß meine Arbeit gut gemeint war. Aber ich that's aus Ehrfurcht, und der Nutzen, den es stiften sollte, war nur der Deckmantel meiner Leidenschaft, nun diese nicht befriediget wird, weine und klage ich. O vergieb mir diese suͤndlichen Thraͤnen, die ich weine, Barmherziger! Jch schaudre vor mir selbst! Gott, was bin ich! welch ein fuͤrchterlicher Gedanke! indem ich zu dir bete, fuͤhle ich es, daß ich noch im Jnnersten meiner Seele an deinem Daseyn zweifle. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0067" n="65"/><lb/> raumen Zeit erinnern, das erweitert unsre ganze Seele, und lockt Thraͤnen einer mit Wehmuth vermischten Freude aus unsern Augen. — </p> </div> <div n="4"> <opener> <dateline>Den 20. Maͤrz Abends.</dateline> </opener> <p>Trauern will ich, aber ich will mich nicht an Gott versuͤndigen! Jch will mich nun einmal mit Muth und Entschlossenheit wafnen, und auch die Bitterkeiten des Lebens ertragen lernen! </p> <p>Wie leicht wuͤrde es mir jetzt seyn, von dem Leben Abschied zu nehmen! Aber ich will den Muth doch nicht sinken lassen. </p> <p>Heute will ich weinen. Vielleicht heitert sich Morgen mein Schicksal wieder auf. </p> <p>Aber warum bin ich denn so niedergeschlagen? Ach, meine Absicht war nicht rein, bei meinem Unternehmen; waͤre sie das gewesen, so wuͤrde ich mich damit beruhigen, daß meine Arbeit gut gemeint war. </p> <p>Aber ich that's aus Ehrfurcht, und der Nutzen, den es stiften sollte, war nur der Deckmantel meiner Leidenschaft, nun diese nicht befriediget wird, weine und klage ich. O vergieb mir diese suͤndlichen Thraͤnen, die ich weine, Barmherziger! </p> <p>Jch schaudre vor mir selbst! Gott, was bin ich! welch ein fuͤrchterlicher Gedanke! indem ich zu dir bete, fuͤhle ich es, daß ich noch im Jnnersten meiner Seele an deinem Daseyn zweifle. </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [65/0067]
raumen Zeit erinnern, das erweitert unsre ganze Seele, und lockt Thraͤnen einer mit Wehmuth vermischten Freude aus unsern Augen. —
Den 20. Maͤrz Abends. Trauern will ich, aber ich will mich nicht an Gott versuͤndigen! Jch will mich nun einmal mit Muth und Entschlossenheit wafnen, und auch die Bitterkeiten des Lebens ertragen lernen!
Wie leicht wuͤrde es mir jetzt seyn, von dem Leben Abschied zu nehmen! Aber ich will den Muth doch nicht sinken lassen.
Heute will ich weinen. Vielleicht heitert sich Morgen mein Schicksal wieder auf.
Aber warum bin ich denn so niedergeschlagen? Ach, meine Absicht war nicht rein, bei meinem Unternehmen; waͤre sie das gewesen, so wuͤrde ich mich damit beruhigen, daß meine Arbeit gut gemeint war.
Aber ich that's aus Ehrfurcht, und der Nutzen, den es stiften sollte, war nur der Deckmantel meiner Leidenschaft, nun diese nicht befriediget wird, weine und klage ich. O vergieb mir diese suͤndlichen Thraͤnen, die ich weine, Barmherziger!
Jch schaudre vor mir selbst! Gott, was bin ich! welch ein fuͤrchterlicher Gedanke! indem ich zu dir bete, fuͤhle ich es, daß ich noch im Jnnersten meiner Seele an deinem Daseyn zweifle.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/67>, abgerufen am 26.06.2024. |