Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.
Wer weiß, liegt es nicht vielleicht blos an mir, mir eben das einnehmende Wesen, eben diese Freimüthigkeit im gesellschaftlichen Umgange, die ich an ihnen bewundre, durch wiederholte Bemühung zu erwerben? -- und ich glaube, das ist immer vernünftiger, als wenn ich mich der Gesellschaft ganz entziehen wollte, und doch werde ich dieß letztere thun müssen, so bald ich merke, daß es mir unmöglich ist, mein Mißvergnügen und meine Traurigkeit zu überwinden. -- Dann o Gott, vergieb es mir, der du mich zu einem Mitgliede der menschlichen Gesellschaft schufst, daß ich nichts zum Vergnügen meiner Freunde im gesellschaftlichen Umgange beitragen kann. -- Jch will mich demohngeachtet bestreben, nicht ganz unnütz zu seyn -- ich will die Stunden der Einsamkeit nutzen, zum Vergnügen meiner Mitmenschen zu arbeiten, da ich durch meinen persönlichen Umgang nichts dazu beitragen kann. -- Und doch ist der Umgang mit edlen Seelen, die uns lieben und schätzen die größte Glückseligkeit des Lebens -- aber dieses Glücks bin ich vielleicht noch nicht werth, und ich will gern so lange Ver-
Wer weiß, liegt es nicht vielleicht blos an mir, mir eben das einnehmende Wesen, eben diese Freimuͤthigkeit im gesellschaftlichen Umgange, die ich an ihnen bewundre, durch wiederholte Bemuͤhung zu erwerben? — und ich glaube, das ist immer vernuͤnftiger, als wenn ich mich der Gesellschaft ganz entziehen wollte, und doch werde ich dieß letztere thun muͤssen, so bald ich merke, daß es mir unmoͤglich ist, mein Mißvergnuͤgen und meine Traurigkeit zu uͤberwinden. — Dann o Gott, vergieb es mir, der du mich zu einem Mitgliede der menschlichen Gesellschaft schufst, daß ich nichts zum Vergnuͤgen meiner Freunde im gesellschaftlichen Umgange beitragen kann. — Jch will mich demohngeachtet bestreben, nicht ganz unnuͤtz zu seyn — ich will die Stunden der Einsamkeit nutzen, zum Vergnuͤgen meiner Mitmenschen zu arbeiten, da ich durch meinen persoͤnlichen Umgang nichts dazu beitragen kann. — Und doch ist der Umgang mit edlen Seelen, die uns lieben und schaͤtzen die groͤßte Gluͤckseligkeit des Lebens — aber dieses Gluͤcks bin ich vielleicht noch nicht werth, und ich will gern so lange Ver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0065" n="63"/><lb/> noch einmal wagen, einer Gesellschaft beizuwohnen — will mich bestreben heiter zu seyn, und will jeden Gedanken an meine Unvollkommenheit, und mein Verhaͤltniß gegen andre, zu unterdruͤcken suchen. — </p> <p>Wer weiß, liegt es nicht <choice><corr>vielleicht</corr><sic>vlelleicht</sic></choice> blos an mir, mir eben das einnehmende Wesen, eben diese Freimuͤthigkeit im gesellschaftlichen Umgange, die ich an ihnen bewundre, durch wiederholte Bemuͤhung zu erwerben? — und ich glaube, das ist immer vernuͤnftiger, als wenn ich mich der Gesellschaft ganz entziehen wollte, und doch werde ich dieß letztere thun muͤssen, so bald ich merke, daß es mir unmoͤglich ist, mein Mißvergnuͤgen und meine Traurigkeit zu uͤberwinden. — </p> <p>Dann o Gott, vergieb es mir, der du mich zu einem Mitgliede der menschlichen Gesellschaft schufst, daß ich nichts zum Vergnuͤgen meiner Freunde im gesellschaftlichen Umgange beitragen kann. — </p> <p>Jch will mich demohngeachtet bestreben, nicht ganz unnuͤtz zu seyn — ich will die Stunden der Einsamkeit nutzen, zum Vergnuͤgen meiner Mitmenschen zu arbeiten, da ich durch meinen persoͤnlichen Umgang nichts dazu beitragen kann. — </p> <p>Und doch ist der Umgang mit edlen Seelen, die uns lieben und schaͤtzen die groͤßte Gluͤckseligkeit des Lebens — aber dieses Gluͤcks bin ich vielleicht noch nicht werth, und ich will gern so lange Ver-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [63/0065]
noch einmal wagen, einer Gesellschaft beizuwohnen — will mich bestreben heiter zu seyn, und will jeden Gedanken an meine Unvollkommenheit, und mein Verhaͤltniß gegen andre, zu unterdruͤcken suchen. —
Wer weiß, liegt es nicht vielleicht blos an mir, mir eben das einnehmende Wesen, eben diese Freimuͤthigkeit im gesellschaftlichen Umgange, die ich an ihnen bewundre, durch wiederholte Bemuͤhung zu erwerben? — und ich glaube, das ist immer vernuͤnftiger, als wenn ich mich der Gesellschaft ganz entziehen wollte, und doch werde ich dieß letztere thun muͤssen, so bald ich merke, daß es mir unmoͤglich ist, mein Mißvergnuͤgen und meine Traurigkeit zu uͤberwinden. —
Dann o Gott, vergieb es mir, der du mich zu einem Mitgliede der menschlichen Gesellschaft schufst, daß ich nichts zum Vergnuͤgen meiner Freunde im gesellschaftlichen Umgange beitragen kann. —
Jch will mich demohngeachtet bestreben, nicht ganz unnuͤtz zu seyn — ich will die Stunden der Einsamkeit nutzen, zum Vergnuͤgen meiner Mitmenschen zu arbeiten, da ich durch meinen persoͤnlichen Umgang nichts dazu beitragen kann. —
Und doch ist der Umgang mit edlen Seelen, die uns lieben und schaͤtzen die groͤßte Gluͤckseligkeit des Lebens — aber dieses Gluͤcks bin ich vielleicht noch nicht werth, und ich will gern so lange Ver-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/65>, abgerufen am 26.06.2024. |