Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0096" n="96"/><lb/> Ordnung so vollstaͤndig wieder zu erzaͤhlen, daß ihm auch nicht der geringste Umstand entschluͤpft. Nicht minder vorzuͤglich ist sein Verstand und seine Beurtheilungskraft. Jch hatte ihm und seinem Bruder einst beim Religionsunterricht nach dem Schuͤtzischen Elementarwerk den Begriff des Jndividuums erklaͤrt, und machte ihm nachher, indem ich ihn durch ein vieleckigt geschliffenes Glas gegen seinen Bruder hinsehen ließ, die Einwendung: »durch dieses Glas sieht man ja viele C...., also giebt es mehr als diesen einzigen;« allein er antwortete mir schnell: »nein, das sind nur Bilder von ihm.« — Dabei hat er vielen Fleiß und eigene Lust zur Arbeit, die ihm vieles von dem, was er zu thun hat, leicht macht. Er erzaͤhlte mir einst, als wir in der lateinischen Lektion ein Pensum wiederholten, das er schon einmal uͤbersetzt hatte, er habe eben dieses Stuͤck erst kuͤrzlich auch bei Nacht uͤbersetzt. Jch fragte ihn, ob es ihm denn im Traum vorgekommen sey? »Nein,« sagte er, »ich habe es wachend gemacht, weil ich noch nicht einschlafen konnte, und das Ding weiß ich auswendig.« Ein Beweis nicht nur von seinem guten Gedaͤchtniß, sondern auch von seiner Lust an ernsthaften Beschaͤftigungen. Und bei den Uebersetzungen, die er zu verfertigen hat, wendet er so viel Genauigkeit an, daß er, wann seine Uebersetzung fertig ist, sie von Wort zu Wort mit dem Original vergleicht, um etwa gemachte Fehler noch zu verbessern. — An-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0096]
Ordnung so vollstaͤndig wieder zu erzaͤhlen, daß ihm auch nicht der geringste Umstand entschluͤpft. Nicht minder vorzuͤglich ist sein Verstand und seine Beurtheilungskraft. Jch hatte ihm und seinem Bruder einst beim Religionsunterricht nach dem Schuͤtzischen Elementarwerk den Begriff des Jndividuums erklaͤrt, und machte ihm nachher, indem ich ihn durch ein vieleckigt geschliffenes Glas gegen seinen Bruder hinsehen ließ, die Einwendung: »durch dieses Glas sieht man ja viele C...., also giebt es mehr als diesen einzigen;« allein er antwortete mir schnell: »nein, das sind nur Bilder von ihm.« — Dabei hat er vielen Fleiß und eigene Lust zur Arbeit, die ihm vieles von dem, was er zu thun hat, leicht macht. Er erzaͤhlte mir einst, als wir in der lateinischen Lektion ein Pensum wiederholten, das er schon einmal uͤbersetzt hatte, er habe eben dieses Stuͤck erst kuͤrzlich auch bei Nacht uͤbersetzt. Jch fragte ihn, ob es ihm denn im Traum vorgekommen sey? »Nein,« sagte er, »ich habe es wachend gemacht, weil ich noch nicht einschlafen konnte, und das Ding weiß ich auswendig.« Ein Beweis nicht nur von seinem guten Gedaͤchtniß, sondern auch von seiner Lust an ernsthaften Beschaͤftigungen. Und bei den Uebersetzungen, die er zu verfertigen hat, wendet er so viel Genauigkeit an, daß er, wann seine Uebersetzung fertig ist, sie von Wort zu Wort mit dem Original vergleicht, um etwa gemachte Fehler noch zu verbessern. — An-
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
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