Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789.
Rede ich unrecht, so befremdet mich solches nicht: rede ich aber recht, so eigne ich mir beileibe solches nicht zu. Jch gehe ohne Gehen, ohne Absichten, ohne daß ich weiß, wo ich hingehe. Jch will weder gehen noch zurückbleiben. Der Wille und die Triebe sind verschwunden: Armuth und Blöße ist mein Theil. Jch habe weder Vertrauen noch Mißtrauen, mit einem Wort: Nichts, Nichts, Nichts. So wenig ich auch auf ein Nachdenken in mir selbst gebracht werde, so glaube ich, ich betrüge alle Menschen, und ich weiß doch nicht, wie ich sie betrüge, noch was ich thue sie zu betrügen. Es giebt Zeiten, da ich gerne wollte, daß Gott möchte erkannt und geliebet werden, sollte es mich auch tausend Leben kosten. Jch liebe die Kirche: alles was sie beleidiget, das beleidigt auch mich. Jch fürchte mich vor allem, was ihr entgegen ist; aber ich kann dieser Furcht keinen Namen geben. Es ist damit eben als wie mit einem Kinde, das an seiner Mutter Brust liegt, welches sich von einem fürchterlichen Ungeheuer gleich abwendet, und es nicht lang anschaut, es zu erkennen, was es sey. Jch suche nichts; aber es werden mir auf der Stelle und zur Stunde die allerkräftigsten Ausdrückungen und Worte gegeben: wenn ich sie aber selbst suchen oder
Rede ich unrecht, so befremdet mich solches nicht: rede ich aber recht, so eigne ich mir beileibe solches nicht zu. Jch gehe ohne Gehen, ohne Absichten, ohne daß ich weiß, wo ich hingehe. Jch will weder gehen noch zuruͤckbleiben. Der Wille und die Triebe sind verschwunden: Armuth und Bloͤße ist mein Theil. Jch habe weder Vertrauen noch Mißtrauen, mit einem Wort: Nichts, Nichts, Nichts. So wenig ich auch auf ein Nachdenken in mir selbst gebracht werde, so glaube ich, ich betruͤge alle Menschen, und ich weiß doch nicht, wie ich sie betruͤge, noch was ich thue sie zu betruͤgen. Es giebt Zeiten, da ich gerne wollte, daß Gott moͤchte erkannt und geliebet werden, sollte es mich auch tausend Leben kosten. Jch liebe die Kirche: alles was sie beleidiget, das beleidigt auch mich. Jch fuͤrchte mich vor allem, was ihr entgegen ist; aber ich kann dieser Furcht keinen Namen geben. Es ist damit eben als wie mit einem Kinde, das an seiner Mutter Brust liegt, welches sich von einem fuͤrchterlichen Ungeheuer gleich abwendet, und es nicht lang anschaut, es zu erkennen, was es sey. Jch suche nichts; aber es werden mir auf der Stelle und zur Stunde die allerkraͤftigsten Ausdruͤckungen und Worte gegeben: wenn ich sie aber selbst suchen oder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0086" n="86"/><lb/> was man mich fragt, ohne mich zu bekuͤmmern, ob ich recht oder unrecht antworte.</p> <p>Rede ich unrecht, so befremdet mich solches nicht: rede ich aber recht, so eigne ich mir beileibe solches nicht zu. Jch gehe ohne Gehen, ohne Absichten, ohne daß ich weiß, wo ich hingehe. Jch will weder gehen noch zuruͤckbleiben.</p> <p>Der Wille und die Triebe sind verschwunden: Armuth und Bloͤße ist mein Theil. Jch habe weder Vertrauen noch Mißtrauen, mit einem Wort: Nichts, Nichts, Nichts.</p> <p>So wenig ich auch auf ein Nachdenken in mir selbst gebracht werde, so glaube ich, ich betruͤge alle Menschen, und ich weiß doch nicht, wie ich sie betruͤge, noch was ich thue sie zu betruͤgen. Es giebt Zeiten, da ich gerne wollte, daß Gott moͤchte erkannt und geliebet werden, sollte es mich auch tausend Leben kosten.</p> <p>Jch liebe die Kirche: alles was sie beleidiget, das beleidigt auch mich. Jch fuͤrchte mich vor allem, was ihr entgegen ist; aber ich kann dieser Furcht keinen Namen geben. Es ist damit eben als wie mit einem Kinde, das an seiner Mutter Brust liegt, welches sich von einem fuͤrchterlichen Ungeheuer gleich abwendet, und es nicht lang anschaut, es zu erkennen, was es sey. Jch suche nichts; aber es werden mir auf der Stelle und zur Stunde die allerkraͤftigsten Ausdruͤckungen und Worte gegeben: wenn ich sie aber selbst suchen oder<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0086]
was man mich fragt, ohne mich zu bekuͤmmern, ob ich recht oder unrecht antworte.
Rede ich unrecht, so befremdet mich solches nicht: rede ich aber recht, so eigne ich mir beileibe solches nicht zu. Jch gehe ohne Gehen, ohne Absichten, ohne daß ich weiß, wo ich hingehe. Jch will weder gehen noch zuruͤckbleiben.
Der Wille und die Triebe sind verschwunden: Armuth und Bloͤße ist mein Theil. Jch habe weder Vertrauen noch Mißtrauen, mit einem Wort: Nichts, Nichts, Nichts.
So wenig ich auch auf ein Nachdenken in mir selbst gebracht werde, so glaube ich, ich betruͤge alle Menschen, und ich weiß doch nicht, wie ich sie betruͤge, noch was ich thue sie zu betruͤgen. Es giebt Zeiten, da ich gerne wollte, daß Gott moͤchte erkannt und geliebet werden, sollte es mich auch tausend Leben kosten.
Jch liebe die Kirche: alles was sie beleidiget, das beleidigt auch mich. Jch fuͤrchte mich vor allem, was ihr entgegen ist; aber ich kann dieser Furcht keinen Namen geben. Es ist damit eben als wie mit einem Kinde, das an seiner Mutter Brust liegt, welches sich von einem fuͤrchterlichen Ungeheuer gleich abwendet, und es nicht lang anschaut, es zu erkennen, was es sey. Jch suche nichts; aber es werden mir auf der Stelle und zur Stunde die allerkraͤftigsten Ausdruͤckungen und Worte gegeben: wenn ich sie aber selbst suchen oder
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