Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789.
Dienstag den 11. Sept. Um 4 Uhr. O du süßes, süßes Gefühl der Ausübung meiner Pflicht, wie lange hab ich deinen Reiz verkannt! Ewig sollst du mir theuer seyn. Ach, was kann der Mensch nicht thun, wenn er will! Wem hätte ich es vor vier Wochen noch geglaubt, daß ich mir die Stunden meines Berufs so würde versüßen können, daß es nun die seligsten Stunden meines Lebens werden? Also kann ich mir auch diese Wüste zu einem Tempe umschaffen? -- Aufmerksamkeit aufs Einzelne, du Schöpferinn der Glückseligkeit, du einzige wahre Weißheit des Lebens, wodurch wir dem Schöpfer des Weltalls ähnlich werden, du bist es, die ich noch immer von mir stieß, indem ich ein leeres Ganze zusammenfassen wollte, das keinen innern Gehalt und Festigkeit hatte. Donnerstag den 25. Oktober. So lang habe ich nichts in mein Tagebuch geschrieben, und das hat seinen guten Grund. Das handelnde Leben verträgt sich nicht sehr gut mit dem beschauenden Leben. Jch bin diese Zeit
Dienstag den 11. Sept. Um 4 Uhr. O du suͤßes, suͤßes Gefuͤhl der Ausuͤbung meiner Pflicht, wie lange hab ich deinen Reiz verkannt! Ewig sollst du mir theuer seyn. Ach, was kann der Mensch nicht thun, wenn er will! Wem haͤtte ich es vor vier Wochen noch geglaubt, daß ich mir die Stunden meines Berufs so wuͤrde versuͤßen koͤnnen, daß es nun die seligsten Stunden meines Lebens werden? Also kann ich mir auch diese Wuͤste zu einem Tempe umschaffen? — Aufmerksamkeit aufs Einzelne, du Schoͤpferinn der Gluͤckseligkeit, du einzige wahre Weißheit des Lebens, wodurch wir dem Schoͤpfer des Weltalls aͤhnlich werden, du bist es, die ich noch immer von mir stieß, indem ich ein leeres Ganze zusammenfassen wollte, das keinen innern Gehalt und Festigkeit hatte. Donnerstag den 25. Oktober. So lang habe ich nichts in mein Tagebuch geschrieben, und das hat seinen guten Grund. Das handelnde Leben vertraͤgt sich nicht sehr gut mit dem beschauenden Leben. Jch bin diese Zeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0049" n="49"/><lb/> mal seyn; ist es gar nicht geschehen, so soll mich dieses N. so lange mißvergnuͤgt machen, bis ich meinen Fehler genug bereuet habe, um ihn inskuͤnftige vermeiden zu koͤnnen.</p> <p rend="center">Dienstag den 11. Sept. Um 4 Uhr. </p> <p>O du suͤßes, suͤßes Gefuͤhl der Ausuͤbung meiner Pflicht, wie lange hab ich deinen Reiz verkannt! Ewig sollst du mir theuer seyn.</p> <p>Ach, was kann der Mensch nicht thun, wenn er will! Wem haͤtte ich es vor vier Wochen noch geglaubt, daß ich mir die Stunden meines Berufs so wuͤrde versuͤßen koͤnnen, daß es nun die seligsten Stunden meines Lebens werden?</p> <p>Also kann ich mir auch diese Wuͤste zu einem Tempe umschaffen? —</p> <p>Aufmerksamkeit aufs Einzelne, du Schoͤpferinn der Gluͤckseligkeit, du einzige wahre Weißheit des Lebens, wodurch wir dem Schoͤpfer des Weltalls aͤhnlich werden, du bist es, die ich noch immer von mir stieß, indem ich ein leeres Ganze zusammenfassen wollte, das keinen innern Gehalt und Festigkeit hatte.</p> <p rend="center">Donnerstag den 25. Oktober. </p> <p>So lang habe ich nichts in mein Tagebuch geschrieben, und das hat seinen guten Grund.</p> <p>Das handelnde Leben vertraͤgt sich nicht sehr gut mit dem beschauenden Leben. Jch bin diese Zeit<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [49/0049]
mal seyn; ist es gar nicht geschehen, so soll mich dieses N. so lange mißvergnuͤgt machen, bis ich meinen Fehler genug bereuet habe, um ihn inskuͤnftige vermeiden zu koͤnnen.
Dienstag den 11. Sept. Um 4 Uhr.
O du suͤßes, suͤßes Gefuͤhl der Ausuͤbung meiner Pflicht, wie lange hab ich deinen Reiz verkannt! Ewig sollst du mir theuer seyn.
Ach, was kann der Mensch nicht thun, wenn er will! Wem haͤtte ich es vor vier Wochen noch geglaubt, daß ich mir die Stunden meines Berufs so wuͤrde versuͤßen koͤnnen, daß es nun die seligsten Stunden meines Lebens werden?
Also kann ich mir auch diese Wuͤste zu einem Tempe umschaffen? —
Aufmerksamkeit aufs Einzelne, du Schoͤpferinn der Gluͤckseligkeit, du einzige wahre Weißheit des Lebens, wodurch wir dem Schoͤpfer des Weltalls aͤhnlich werden, du bist es, die ich noch immer von mir stieß, indem ich ein leeres Ganze zusammenfassen wollte, das keinen innern Gehalt und Festigkeit hatte.
Donnerstag den 25. Oktober.
So lang habe ich nichts in mein Tagebuch geschrieben, und das hat seinen guten Grund.
Das handelnde Leben vertraͤgt sich nicht sehr gut mit dem beschauenden Leben. Jch bin diese Zeit
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0703_1789/49>, abgerufen am 16.02.2025. |