Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789.2. Ueber Selbsttäuschung. ![]() Jch unterbreche gerade hier das Tagebuch, um auf den Gesichtspunkt aufmerksam zu machen, wodurch es für den Psychologen interessant wird. Es läßt sich kein höherer Grad von Selbsttäuschung denken, als den Vorsatz zu fassen, inskünftige wahr zu seyn, und vor sich selber nicht mehr anders zu scheinen, als wie man ist. -- Ohne dabei in Erwägung zu ziehen, daß dieser Vorsatz selbst unmöglich wahr seyn kann; weil es gar keines solchen Vorsatzes mehr bedürfte, sobald man ein wirkliches Vergnügen daran fände, wahr zu seyn, und einem der Schein nicht selbst noch in diesem Augenblicke, lieber als die Wahrheit, wäre. Nun ist aber dieser höchste Grad von Selbsttäuschung gewiß eine der sonderbarsten Erscheinungen der menschlichen Seele -- weil die Wahrheit selber unter der Täuschung erliegt. -- Denn die folgenden Ausdrücke: Das war es eben, was mir bisher so viele Glückseligkeit geraubt hat -- und: ich bin nicht den geraden 2. Ueber Selbsttaͤuschung. ![]() Jch unterbreche gerade hier das Tagebuch, um auf den Gesichtspunkt aufmerksam zu machen, wodurch es fuͤr den Psychologen interessant wird. Es laͤßt sich kein hoͤherer Grad von Selbsttaͤuschung denken, als den Vorsatz zu fassen, inskuͤnftige wahr zu seyn, und vor sich selber nicht mehr anders zu scheinen, als wie man ist. — Ohne dabei in Erwaͤgung zu ziehen, daß dieser Vorsatz selbst unmoͤglich wahr seyn kann; weil es gar keines solchen Vorsatzes mehr beduͤrfte, sobald man ein wirkliches Vergnuͤgen daran faͤnde, wahr zu seyn, und einem der Schein nicht selbst noch in diesem Augenblicke, lieber als die Wahrheit, waͤre. Nun ist aber dieser hoͤchste Grad von Selbsttaͤuschung gewiß eine der sonderbarsten Erscheinungen der menschlichen Seele — weil die Wahrheit selber unter der Taͤuschung erliegt. — Denn die folgenden Ausdruͤcke: Das war es eben, was mir bisher so viele Gluͤckseligkeit geraubt hat — und: ich bin nicht den geraden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0045" n="45"/><lb/><lb/> </div> <div n="3"> <head>2. Ueber Selbsttaͤuschung. <note type="editorial"><bibl><persName ref="#ref1"><note type="editorial"/><Moritz, Karl Philipp></persName></bibl></note> Eine Parenthese zu dem Tagebuche eines Selbstbeobachters.</head><lb/> <p>Jch unterbreche gerade hier das Tagebuch, um auf den Gesichtspunkt aufmerksam zu machen, wodurch es fuͤr den Psychologen interessant wird.</p> <p>Es laͤßt sich kein hoͤherer Grad von <hi rendition="#b">Selbsttaͤuschung</hi> denken, als den <hi rendition="#b">Vorsatz zu fassen, inskuͤnftige wahr zu seyn, und vor sich selber nicht mehr anders zu scheinen, als wie man ist.</hi> — </p> <p>Ohne dabei in Erwaͤgung zu ziehen, daß dieser Vorsatz selbst unmoͤglich wahr seyn kann; weil es gar keines solchen Vorsatzes mehr beduͤrfte, sobald man ein wirkliches Vergnuͤgen daran faͤnde, wahr zu seyn, und einem der Schein nicht selbst noch in diesem Augenblicke, lieber als die Wahrheit, waͤre.</p> <p>Nun ist aber dieser hoͤchste Grad von Selbsttaͤuschung gewiß eine der sonderbarsten Erscheinungen der menschlichen Seele — weil die Wahrheit selber unter der Taͤuschung erliegt. —</p> <p>Denn die folgenden Ausdruͤcke: <hi rendition="#b">Das war es eben, was mir bisher so viele Gluͤckseligkeit geraubt hat</hi> — und: <hi rendition="#b">ich bin nicht den geraden<lb/></hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [45/0045]
2. Ueber Selbsttaͤuschung. Eine Parenthese zu dem Tagebuche eines Selbstbeobachters.
Jch unterbreche gerade hier das Tagebuch, um auf den Gesichtspunkt aufmerksam zu machen, wodurch es fuͤr den Psychologen interessant wird.
Es laͤßt sich kein hoͤherer Grad von Selbsttaͤuschung denken, als den Vorsatz zu fassen, inskuͤnftige wahr zu seyn, und vor sich selber nicht mehr anders zu scheinen, als wie man ist. —
Ohne dabei in Erwaͤgung zu ziehen, daß dieser Vorsatz selbst unmoͤglich wahr seyn kann; weil es gar keines solchen Vorsatzes mehr beduͤrfte, sobald man ein wirkliches Vergnuͤgen daran faͤnde, wahr zu seyn, und einem der Schein nicht selbst noch in diesem Augenblicke, lieber als die Wahrheit, waͤre.
Nun ist aber dieser hoͤchste Grad von Selbsttaͤuschung gewiß eine der sonderbarsten Erscheinungen der menschlichen Seele — weil die Wahrheit selber unter der Taͤuschung erliegt. —
Denn die folgenden Ausdruͤcke: Das war es eben, was mir bisher so viele Gluͤckseligkeit geraubt hat — und: ich bin nicht den geraden
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0703_1789/45>, abgerufen am 16.02.2025. |