Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789."Doch, ich werde zu weitläuftig, ich will es kürzer machen. Man brachte in das Haus, worin ich logirte, alle Tage einen Komödienzettel, wie begierig war ich, ihn zu sehen, und wenn ich einen eigenen, -- wenns öfters auch nur ein alter war -- bekommen konnte, wie hob ich ihn als ein Heiligthum auf. Du weißt, daß R..., bei dem ich im Haus und in der Kost war, es nicht gelitten hätte, und mich gewiß übel behandelt hätte, wenn ich ihm meine Neigung entdeckt hätte, deswegen mußte ich oft die Komödienzettel nur verstohlen bekommen, und dann schrieb ich sie nicht ab, nein, zeichnete sie, Buchstabe nach Buchstabe, am Fenster ab, um ja das ganze Modell davon zu haben." "Wann ich allein auf meinem Zimmer war, so nahm ich oft ein Schnupftuch oder Waschtuch, rollte es auf, und ließ es dann wieder herunter fallen, weil ich dadurch das Aufziehen und Niederlassen des Theatervorhangs nachmachen wollte, lief in meiner Stube auf und ab, und deklamirte die Rollen, die mir am meisten gefallen hatten, so viel ich davon auswendig behalten hatte, kurz, was ich den ganzen Tag über dachte und redete, war Komödie. -- Wie oft habe ich dich bei unsern gesellschaftlichen Zusammenkünften mit solchen Diskursen vielleicht inkommodirt, aber was ist es mir auch für eine Erleichterung gewesen, wenn ich mein volles Herz in den Busen eines Freundes ausschütten durfte." -- »Doch, ich werde zu weitlaͤuftig, ich will es kuͤrzer machen. Man brachte in das Haus, worin ich logirte, alle Tage einen Komoͤdienzettel, wie begierig war ich, ihn zu sehen, und wenn ich einen eigenen, — wenns oͤfters auch nur ein alter war — bekommen konnte, wie hob ich ihn als ein Heiligthum auf. Du weißt, daß R..., bei dem ich im Haus und in der Kost war, es nicht gelitten haͤtte, und mich gewiß uͤbel behandelt haͤtte, wenn ich ihm meine Neigung entdeckt haͤtte, deswegen mußte ich oft die Komoͤdienzettel nur verstohlen bekommen, und dann schrieb ich sie nicht ab, nein, zeichnete sie, Buchstabe nach Buchstabe, am Fenster ab, um ja das ganze Modell davon zu haben.« »Wann ich allein auf meinem Zimmer war, so nahm ich oft ein Schnupftuch oder Waschtuch, rollte es auf, und ließ es dann wieder herunter fallen, weil ich dadurch das Aufziehen und Niederlassen des Theatervorhangs nachmachen wollte, lief in meiner Stube auf und ab, und deklamirte die Rollen, die mir am meisten gefallen hatten, so viel ich davon auswendig behalten hatte, kurz, was ich den ganzen Tag uͤber dachte und redete, war Komoͤdie. — Wie oft habe ich dich bei unsern gesellschaftlichen Zusammenkuͤnften mit solchen Diskursen vielleicht inkommodirt, aber was ist es mir auch fuͤr eine Erleichterung gewesen, wenn ich mein volles Herz in den Busen eines Freundes ausschuͤtten durfte.« — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0109" n="109"/><lb/> <p>»Doch, ich werde zu weitlaͤuftig, ich will es kuͤrzer machen. Man brachte in das Haus, worin ich logirte, alle Tage einen Komoͤdienzettel, wie begierig war ich, ihn zu sehen, und wenn ich einen eigenen, — wenns oͤfters auch nur ein alter war — bekommen konnte, wie hob ich ihn als ein Heiligthum auf. Du weißt, daß R..., bei dem ich im Haus und in der Kost war, es nicht gelitten haͤtte, und mich gewiß uͤbel behandelt haͤtte, wenn ich ihm meine Neigung entdeckt haͤtte, deswegen mußte ich oft die Komoͤdienzettel nur verstohlen bekommen, und dann schrieb ich sie nicht ab, nein, zeichnete sie, Buchstabe nach Buchstabe, am Fenster ab, um ja das ganze Modell davon zu haben.«</p> <p>»Wann ich allein auf meinem Zimmer war, so nahm ich oft ein Schnupftuch oder Waschtuch, rollte es auf, und ließ es dann wieder herunter fallen, weil ich dadurch das Aufziehen und Niederlassen des Theatervorhangs nachmachen wollte, lief in meiner Stube auf und ab, und deklamirte die Rollen, die mir am meisten gefallen hatten, so viel ich davon auswendig behalten hatte, kurz, was ich den ganzen Tag uͤber dachte und redete, war Komoͤdie. — Wie oft habe ich dich bei unsern gesellschaftlichen Zusammenkuͤnften mit solchen Diskursen vielleicht inkommodirt, aber was ist es mir auch fuͤr eine Erleichterung gewesen, wenn ich mein volles Herz in den Busen eines Freundes ausschuͤtten durfte.« —</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0109]
»Doch, ich werde zu weitlaͤuftig, ich will es kuͤrzer machen. Man brachte in das Haus, worin ich logirte, alle Tage einen Komoͤdienzettel, wie begierig war ich, ihn zu sehen, und wenn ich einen eigenen, — wenns oͤfters auch nur ein alter war — bekommen konnte, wie hob ich ihn als ein Heiligthum auf. Du weißt, daß R..., bei dem ich im Haus und in der Kost war, es nicht gelitten haͤtte, und mich gewiß uͤbel behandelt haͤtte, wenn ich ihm meine Neigung entdeckt haͤtte, deswegen mußte ich oft die Komoͤdienzettel nur verstohlen bekommen, und dann schrieb ich sie nicht ab, nein, zeichnete sie, Buchstabe nach Buchstabe, am Fenster ab, um ja das ganze Modell davon zu haben.«
»Wann ich allein auf meinem Zimmer war, so nahm ich oft ein Schnupftuch oder Waschtuch, rollte es auf, und ließ es dann wieder herunter fallen, weil ich dadurch das Aufziehen und Niederlassen des Theatervorhangs nachmachen wollte, lief in meiner Stube auf und ab, und deklamirte die Rollen, die mir am meisten gefallen hatten, so viel ich davon auswendig behalten hatte, kurz, was ich den ganzen Tag uͤber dachte und redete, war Komoͤdie. — Wie oft habe ich dich bei unsern gesellschaftlichen Zusammenkuͤnften mit solchen Diskursen vielleicht inkommodirt, aber was ist es mir auch fuͤr eine Erleichterung gewesen, wenn ich mein volles Herz in den Busen eines Freundes ausschuͤtten durfte.« —
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 3. Berlin, 1789, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0703_1789/109>, abgerufen am 16.02.2025. |