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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

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Fremder ins Zimmer kam. Weil sie zugleich blind, taub und stumm war; so konnte man nur durch das Gefühl mit ihr sprechen. Sie hatte eine ungemeine Fertigkeit in der Fingersprache; wer aber so mit ihr reden wollte, der mußte ihre Hand und ihre Finger statt der seinigen berühren. Sie unterschied an einer Schürze, die mit Seide von verschiedenen Farben eingefast war, das Rothe, Grüne und Blaue aufs richtigste, indem sie die Finger aufmerksam an die Blumen der Einfassung setzte. Sie konnte sogar ein nelkenfarbiges Band (Pinck Coulour) nachdem sie es eine Zeitlang befühlet hatte, unterscheiden, und den Namen der Farbe bezeichen, obgleich dieselbe nur eine Art des Rothen von der blaßrothen Schattirung war. Man wollte sie einstmals in ein Zimmer führen, worinn, wie man ihr zu verstehen gab, lauter Bekannte seyn sollten. Unter der Zeit daß man sie hierzu beredete, waren aber von ohngefähr Fremde in dieses Zimmer gekommen. Als nun die Kranke vor das Zimmer kam, und die Thür geöfnet wurde; so kehrte sie um, und ging sehr unwillig wieder in ihr Zimmer zurück, weil sie zu verstehen gab, es wären Fremde da und man hätte sie hintergehen wollen. Sie gestand nach der Zeit, daß sie die Gegenwart der Fremden aus dem Geruche erkannt hätte. Es ward ihr nicht so leicht, ihre Bekannten durch den Geruch zu unterscheiden, sondern sie mußte hierzu andere Künste zu Hülfe nehmen. Jnsgemein er-


Fremder ins Zimmer kam. Weil sie zugleich blind, taub und stumm war; so konnte man nur durch das Gefuͤhl mit ihr sprechen. Sie hatte eine ungemeine Fertigkeit in der Fingersprache; wer aber so mit ihr reden wollte, der mußte ihre Hand und ihre Finger statt der seinigen beruͤhren. Sie unterschied an einer Schuͤrze, die mit Seide von verschiedenen Farben eingefast war, das Rothe, Gruͤne und Blaue aufs richtigste, indem sie die Finger aufmerksam an die Blumen der Einfassung setzte. Sie konnte sogar ein nelkenfarbiges Band (Pinck Coulour) nachdem sie es eine Zeitlang befuͤhlet hatte, unterscheiden, und den Namen der Farbe bezeichen, obgleich dieselbe nur eine Art des Rothen von der blaßrothen Schattirung war. Man wollte sie einstmals in ein Zimmer fuͤhren, worinn, wie man ihr zu verstehen gab, lauter Bekannte seyn sollten. Unter der Zeit daß man sie hierzu beredete, waren aber von ohngefaͤhr Fremde in dieses Zimmer gekommen. Als nun die Kranke vor das Zimmer kam, und die Thuͤr geoͤfnet wurde; so kehrte sie um, und ging sehr unwillig wieder in ihr Zimmer zuruͤck, weil sie zu verstehen gab, es waͤren Fremde da und man haͤtte sie hintergehen wollen. Sie gestand nach der Zeit, daß sie die Gegenwart der Fremden aus dem Geruche erkannt haͤtte. Es ward ihr nicht so leicht, ihre Bekannten durch den Geruch zu unterscheiden, sondern sie mußte hierzu andere Kuͤnste zu Huͤlfe nehmen. Jnsgemein er-

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[88/0088] Fremder ins Zimmer kam. Weil sie zugleich blind, taub und stumm war; so konnte man nur durch das Gefuͤhl mit ihr sprechen. Sie hatte eine ungemeine Fertigkeit in der Fingersprache; wer aber so mit ihr reden wollte, der mußte ihre Hand und ihre Finger statt der seinigen beruͤhren. Sie unterschied an einer Schuͤrze, die mit Seide von verschiedenen Farben eingefast war, das Rothe, Gruͤne und Blaue aufs richtigste, indem sie die Finger aufmerksam an die Blumen der Einfassung setzte. Sie konnte sogar ein nelkenfarbiges Band (Pinck Coulour) nachdem sie es eine Zeitlang befuͤhlet hatte, unterscheiden, und den Namen der Farbe bezeichen, obgleich dieselbe nur eine Art des Rothen von der blaßrothen Schattirung war. Man wollte sie einstmals in ein Zimmer fuͤhren, worinn, wie man ihr zu verstehen gab, lauter Bekannte seyn sollten. Unter der Zeit daß man sie hierzu beredete, waren aber von ohngefaͤhr Fremde in dieses Zimmer gekommen. Als nun die Kranke vor das Zimmer kam, und die Thuͤr geoͤfnet wurde; so kehrte sie um, und ging sehr unwillig wieder in ihr Zimmer zuruͤck, weil sie zu verstehen gab, es waͤren Fremde da und man haͤtte sie hintergehen wollen. Sie gestand nach der Zeit, daß sie die Gegenwart der Fremden aus dem Geruche erkannt haͤtte. Es ward ihr nicht so leicht, ihre Bekannten durch den Geruch zu unterscheiden, sondern sie mußte hierzu andere Kuͤnste zu Huͤlfe nehmen. Jnsgemein er-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/88>, abgerufen am 01.05.2024.