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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

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derbare darin gar nicht finden können, was man darin finden wollte, ob ich gleich nicht läugnen will, daß manche darin vorkommende Scene etwas Schauderhaftes hat.

Nicht unerklärbarer ist der Traum Seite 103 St. 2. B. 5. den der seelige Professor Meier zu Halle seinen Zuhörern in den psychologischen Vorlesungen jährlich einmahl mittheilte: "Ein junger Gelehrter in Halle träumte einst, daß er sich auf dem dortigen Kirchhofe befände, und auf einem Leichenstein seinen eigenen Namen nebst dem Tage seines Todes deutlich angezeigt fand. Nur die lezte Ziffer der Jahrszahl war mit Moos bewachsen; er wollte ihn wegkratzen; aber in dem Augenblick erwachte er. Er schrieb sogleich den ganzen Traum auf, versiegelte das Papier, und schloß es in seinen Schreibschrank, mit der völligen Ueberzeugung, daß er bald und an dem angezeigten Tage sterben werde. Er gab Meiern kurz vor seinem Tode den Schlüssel zum Schreibtisch, und Meier fand bei der Eröfnung des versiegelten Papiers, daß der Traum des jungen Gelehrten richtig eingetroffen war, denn er starb grade an dem angezeigten Tage."

Bei der ganzen Geschichte ist mir dies gleich anfangs aufgefallen, daß der junge Gelehrte seinen Tod nicht bestimmt vorhersahe, denn die lezte Ziffer der Jahrszahl war ihm unbekannt geblieben; der Tag traf freilich richtig ein, allein man weiß aus mehrern Beispielen dieser Art, daß eine sehr lebhaft


derbare darin gar nicht finden koͤnnen, was man darin finden wollte, ob ich gleich nicht laͤugnen will, daß manche darin vorkommende Scene etwas Schauderhaftes hat.

Nicht unerklaͤrbarer ist der Traum Seite 103 St. 2. B. 5. den der seelige Professor Meier zu Halle seinen Zuhoͤrern in den psychologischen Vorlesungen jaͤhrlich einmahl mittheilte: »Ein junger Gelehrter in Halle traͤumte einst, daß er sich auf dem dortigen Kirchhofe befaͤnde, und auf einem Leichenstein seinen eigenen Namen nebst dem Tage seines Todes deutlich angezeigt fand. Nur die lezte Ziffer der Jahrszahl war mit Moos bewachsen; er wollte ihn wegkratzen; aber in dem Augenblick erwachte er. Er schrieb sogleich den ganzen Traum auf, versiegelte das Papier, und schloß es in seinen Schreibschrank, mit der voͤlligen Ueberzeugung, daß er bald und an dem angezeigten Tage sterben werde. Er gab Meiern kurz vor seinem Tode den Schluͤssel zum Schreibtisch, und Meier fand bei der Eroͤfnung des versiegelten Papiers, daß der Traum des jungen Gelehrten richtig eingetroffen war, denn er starb grade an dem angezeigten Tage.«

Bei der ganzen Geschichte ist mir dies gleich anfangs aufgefallen, daß der junge Gelehrte seinen Tod nicht bestimmt vorhersahe, denn die lezte Ziffer der Jahrszahl war ihm unbekannt geblieben; der Tag traf freilich richtig ein, allein man weiß aus mehrern Beispielen dieser Art, daß eine sehr lebhaft

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[11/0011] derbare darin gar nicht finden koͤnnen, was man darin finden wollte, ob ich gleich nicht laͤugnen will, daß manche darin vorkommende Scene etwas Schauderhaftes hat. Nicht unerklaͤrbarer ist der Traum Seite 103 St. 2. B. 5. den der seelige Professor Meier zu Halle seinen Zuhoͤrern in den psychologischen Vorlesungen jaͤhrlich einmahl mittheilte: »Ein junger Gelehrter in Halle traͤumte einst, daß er sich auf dem dortigen Kirchhofe befaͤnde, und auf einem Leichenstein seinen eigenen Namen nebst dem Tage seines Todes deutlich angezeigt fand. Nur die lezte Ziffer der Jahrszahl war mit Moos bewachsen; er wollte ihn wegkratzen; aber in dem Augenblick erwachte er. Er schrieb sogleich den ganzen Traum auf, versiegelte das Papier, und schloß es in seinen Schreibschrank, mit der voͤlligen Ueberzeugung, daß er bald und an dem angezeigten Tage sterben werde. Er gab Meiern kurz vor seinem Tode den Schluͤssel zum Schreibtisch, und Meier fand bei der Eroͤfnung des versiegelten Papiers, daß der Traum des jungen Gelehrten richtig eingetroffen war, denn er starb grade an dem angezeigten Tage.« Bei der ganzen Geschichte ist mir dies gleich anfangs aufgefallen, daß der junge Gelehrte seinen Tod nicht bestimmt vorhersahe, denn die lezte Ziffer der Jahrszahl war ihm unbekannt geblieben; der Tag traf freilich richtig ein, allein man weiß aus mehrern Beispielen dieser Art, daß eine sehr lebhaft

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/11>, abgerufen am 25.04.2024.