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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

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vielleicht hatten wir dadurch einen andern aufgeben müssen, der vielleicht noch weniger vortheilhaft für uns gewesen wäre, den wir uns aber doch jezt als etwas Entferntes besser vorstellen; -- vielleicht änderte sich auch das neue Object in dem Augenblick unsrer Besitznehmung desselben; alles dieses können psychologische Gründe seyn, warum uns die Erfüllung des Wunsches weniger, als der Wunsch selbst behagt; immer wird aber die erste Ursach davon mit in der erfüllten Begierde liegen, und in der Vorstellung, daß uns das neue Object nicht mehr genommen werden kann. -- --

Jch glaube einen großen Unterschied zwischen dem Wunsche nach sinnlichen Objecten und dem, nach Wahrheit, so wie auch in der Erreichung des beiderseitigen Ziels wahrzunehmen. Es sey mir erlaubt hierüber meine Meinung zu sagen. Der Durst nach Wahrheit erreicht bei unendlich wenigen Menschen den Grad, welchen Cartesius*) fühlte.

*) Cartesius fühlte einen solchen Drang zur Erforschung der Wahrheit in sich, und setzte seine Studien mit einer solchen Heftigkeit fort, daß sein Gehirn dadurch litte, und er über den Gegenstand seines Denkens in eine Art von Enthusiasmus fiel. So leicht sich ein solcher Zustand bei einer lang anhaltenden Anstrengung des Verstandes erklären läßt; so merkwürdig ist doch das, was er hierüber von sich selbst erzählt. Voll von seinem Enthusiasmus und dem Gedanken, eines Tages die Gründe der Wahrheit gefunden zu haben, legte er sich 1619 den 10ten November schlafen. Er hatte hintereinander drei Träume, die ihm so außerordentlich schienen, daß er sie für göttlich hielt, und in ihnen sich die Bahn vorgezeichnet fand, welche er nach dem Willen der Gottheit in Absicht seiner Lebensart und seiner Erforschung der Wahrheit, die er mit Unruh suchte, gehen müsse. Die geistige Auslegung, welche er diesen Träumen gab, glich dem Enthusiasmus von dem er sich durchdrungen glaubte so sehr, daß man ihn hätte für wahnsinnig halten, oder glauben können, daß er sich den Abend vorher betrunken haben müsse; aber er versichert uns, daß er den Tag vorher äußerst mäßig zugebracht, und seit drei Monaten keinen Wein getrunken habe. Den andern Morgen, noch ganz von den Eindrücken jener Träume durchglüht, überlegte er, was er nun für eine Partie ergreifen solle; er nahm seine Zuflucht zur Gottheit, und bat sie inständigst, ihm ihren Willen deutlich bekannt zu machen, ihn zu erleuchten, und ihn bei seiner Untersuchung der Wahrheit zu führen. Seine Schwärmerei ging so weit, daß er sogar die Jungfrau Maria für sich mit zu interessiren suchte, und ein Gelübde, nach Loretto in Jtalien zu reisen, that. Baillet la vie de Des-Cartes, a Paris 1693. p. 37. seq.


vielleicht hatten wir dadurch einen andern aufgeben muͤssen, der vielleicht noch weniger vortheilhaft fuͤr uns gewesen waͤre, den wir uns aber doch jezt als etwas Entferntes besser vorstellen; — vielleicht aͤnderte sich auch das neue Object in dem Augenblick unsrer Besitznehmung desselben; alles dieses koͤnnen psychologische Gruͤnde seyn, warum uns die Erfuͤllung des Wunsches weniger, als der Wunsch selbst behagt; immer wird aber die erste Ursach davon mit in der erfuͤllten Begierde liegen, und in der Vorstellung, daß uns das neue Object nicht mehr genommen werden kann. — —

Jch glaube einen großen Unterschied zwischen dem Wunsche nach sinnlichen Objecten und dem, nach Wahrheit, so wie auch in der Erreichung des beiderseitigen Ziels wahrzunehmen. Es sey mir erlaubt hieruͤber meine Meinung zu sagen. Der Durst nach Wahrheit erreicht bei unendlich wenigen Menschen den Grad, welchen Cartesius*) fuͤhlte.

*) Cartesius fuͤhlte einen solchen Drang zur Erforschung der Wahrheit in sich, und setzte seine Studien mit einer solchen Heftigkeit fort, daß sein Gehirn dadurch litte, und er uͤber den Gegenstand seines Denkens in eine Art von Enthusiasmus fiel. So leicht sich ein solcher Zustand bei einer lang anhaltenden Anstrengung des Verstandes erklaͤren laͤßt; so merkwuͤrdig ist doch das, was er hieruͤber von sich selbst erzaͤhlt. Voll von seinem Enthusiasmus und dem Gedanken, eines Tages die Gruͤnde der Wahrheit gefunden zu haben, legte er sich 1619 den 10ten November schlafen. Er hatte hintereinander drei Traͤume, die ihm so außerordentlich schienen, daß er sie fuͤr goͤttlich hielt, und in ihnen sich die Bahn vorgezeichnet fand, welche er nach dem Willen der Gottheit in Absicht seiner Lebensart und seiner Erforschung der Wahrheit, die er mit Unruh suchte, gehen muͤsse. Die geistige Auslegung, welche er diesen Traͤumen gab, glich dem Enthusiasmus von dem er sich durchdrungen glaubte so sehr, daß man ihn haͤtte fuͤr wahnsinnig halten, oder glauben koͤnnen, daß er sich den Abend vorher betrunken haben muͤsse; aber er versichert uns, daß er den Tag vorher aͤußerst maͤßig zugebracht, und seit drei Monaten keinen Wein getrunken habe. Den andern Morgen, noch ganz von den Eindruͤcken jener Traͤume durchgluͤht, uͤberlegte er, was er nun fuͤr eine Partie ergreifen solle; er nahm seine Zuflucht zur Gottheit, und bat sie instaͤndigst, ihm ihren Willen deutlich bekannt zu machen, ihn zu erleuchten, und ihn bei seiner Untersuchung der Wahrheit zu fuͤhren. Seine Schwaͤrmerei ging so weit, daß er sogar die Jungfrau Maria fuͤr sich mit zu interessiren suchte, und ein Geluͤbde, nach Loretto in Jtalien zu reisen, that. Baillet la vie de Des-Cartes, à Paris 1693. p. 37. seq.
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[106/0106] vielleicht hatten wir dadurch einen andern aufgeben muͤssen, der vielleicht noch weniger vortheilhaft fuͤr uns gewesen waͤre, den wir uns aber doch jezt als etwas Entferntes besser vorstellen; — vielleicht aͤnderte sich auch das neue Object in dem Augenblick unsrer Besitznehmung desselben; alles dieses koͤnnen psychologische Gruͤnde seyn, warum uns die Erfuͤllung des Wunsches weniger, als der Wunsch selbst behagt; immer wird aber die erste Ursach davon mit in der erfuͤllten Begierde liegen, und in der Vorstellung, daß uns das neue Object nicht mehr genommen werden kann. — — Jch glaube einen großen Unterschied zwischen dem Wunsche nach sinnlichen Objecten und dem, nach Wahrheit, so wie auch in der Erreichung des beiderseitigen Ziels wahrzunehmen. Es sey mir erlaubt hieruͤber meine Meinung zu sagen. Der Durst nach Wahrheit erreicht bei unendlich wenigen Menschen den Grad, welchen Cartesius*) fuͤhlte. *) Cartesius fuͤhlte einen solchen Drang zur Erforschung der Wahrheit in sich, und setzte seine Studien mit einer solchen Heftigkeit fort, daß sein Gehirn dadurch litte, und er uͤber den Gegenstand seines Denkens in eine Art von Enthusiasmus fiel. So leicht sich ein solcher Zustand bei einer lang anhaltenden Anstrengung des Verstandes erklaͤren laͤßt; so merkwuͤrdig ist doch das, was er hieruͤber von sich selbst erzaͤhlt. Voll von seinem Enthusiasmus und dem Gedanken, eines Tages die Gruͤnde der Wahrheit gefunden zu haben, legte er sich 1619 den 10ten November schlafen. Er hatte hintereinander drei Traͤume, die ihm so außerordentlich schienen, daß er sie fuͤr goͤttlich hielt, und in ihnen sich die Bahn vorgezeichnet fand, welche er nach dem Willen der Gottheit in Absicht seiner Lebensart und seiner Erforschung der Wahrheit, die er mit Unruh suchte, gehen muͤsse. Die geistige Auslegung, welche er diesen Traͤumen gab, glich dem Enthusiasmus von dem er sich durchdrungen glaubte so sehr, daß man ihn haͤtte fuͤr wahnsinnig halten, oder glauben koͤnnen, daß er sich den Abend vorher betrunken haben muͤsse; aber er versichert uns, daß er den Tag vorher aͤußerst maͤßig zugebracht, und seit drei Monaten keinen Wein getrunken habe. Den andern Morgen, noch ganz von den Eindruͤcken jener Traͤume durchgluͤht, uͤberlegte er, was er nun fuͤr eine Partie ergreifen solle; er nahm seine Zuflucht zur Gottheit, und bat sie instaͤndigst, ihm ihren Willen deutlich bekannt zu machen, ihn zu erleuchten, und ihn bei seiner Untersuchung der Wahrheit zu fuͤhren. Seine Schwaͤrmerei ging so weit, daß er sogar die Jungfrau Maria fuͤr sich mit zu interessiren suchte, und ein Geluͤbde, nach Loretto in Jtalien zu reisen, that. Baillet la vie de Des-Cartes, à Paris 1693. p. 37. seq.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/106>, abgerufen am 05.12.2024.