Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789."Sollte ich irren, wenn ich glaube, daß er, seit seiner Haft, wirklich entschlossen gewesen und geblieben sey, zu sterben, nachdem er einmal auf der Welt ein so verdorbener Mensch geworden war, daß er sich also vor dem Tode an sich nicht gescheuet habe, obgleich für gewissen Graden der Schande im Tode, und daß er es für anständiger gehalten, öffentlich mit einer Standhaftigkeit zu sterben, als auf eine feige Weise sich heimlich das Leben zu nehmen? daß er aber auch dabei mit seinen Sophistereien von der Unvermeidlichkeit seines Schicksals, und von der Verminderung seiner Schuld dadurch, daß er ein Werkzeug zur Ausführung des Willens Gottes, und zwar zur Wegschaffung böser Menschen, gewesen sey, eine gute Zeitlang sich getäuscht und eingeschläfert habe? Mir selbst wenigstens ließ er noch dergleichen merken, und äußerte sich sogar, als er auf das Gute geführt wurde, das ihm doch auch in seiner Haft, und besonders durch sein sehr leidliches Gefängniß und Ketten, noch wiederfahre, habe er doch auch nichts so böses gethan! Daß aber bei seinem Scheu vor dem Selbstmord auch etwas religiöse Gewissenhaftigkeit mit eingemischt gewesen seyn möge, ist nicht unwahrscheinlich." "Nach und nach erkannte er aber die Unmoralität seines Verbrechens, und fühlte sich überzeugt, daß er sich von seinem Falle die Schuld allein zuschreiben müsse; daß er die Sorgfalt und Mittel »Sollte ich irren, wenn ich glaube, daß er, seit seiner Haft, wirklich entschlossen gewesen und geblieben sey, zu sterben, nachdem er einmal auf der Welt ein so verdorbener Mensch geworden war, daß er sich also vor dem Tode an sich nicht gescheuet habe, obgleich fuͤr gewissen Graden der Schande im Tode, und daß er es fuͤr anstaͤndiger gehalten, oͤffentlich mit einer Standhaftigkeit zu sterben, als auf eine feige Weise sich heimlich das Leben zu nehmen? daß er aber auch dabei mit seinen Sophistereien von der Unvermeidlichkeit seines Schicksals, und von der Verminderung seiner Schuld dadurch, daß er ein Werkzeug zur Ausfuͤhrung des Willens Gottes, und zwar zur Wegschaffung boͤser Menschen, gewesen sey, eine gute Zeitlang sich getaͤuscht und eingeschlaͤfert habe? Mir selbst wenigstens ließ er noch dergleichen merken, und aͤußerte sich sogar, als er auf das Gute gefuͤhrt wurde, das ihm doch auch in seiner Haft, und besonders durch sein sehr leidliches Gefaͤngniß und Ketten, noch wiederfahre, habe er doch auch nichts so boͤses gethan! Daß aber bei seinem Scheu vor dem Selbstmord auch etwas religioͤse Gewissenhaftigkeit mit eingemischt gewesen seyn moͤge, ist nicht unwahrscheinlich.« »Nach und nach erkannte er aber die Unmoralitaͤt seines Verbrechens, und fuͤhlte sich uͤberzeugt, daß er sich von seinem Falle die Schuld allein zuschreiben muͤsse; daß er die Sorgfalt und Mittel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0059" n="57"/><lb/> <p>»Sollte ich irren, wenn ich glaube, daß er, seit seiner Haft, wirklich entschlossen gewesen und geblieben sey, zu sterben, nachdem er einmal auf der Welt ein so verdorbener Mensch geworden war, daß er sich also vor dem Tode an sich nicht gescheuet habe, obgleich fuͤr gewissen Graden der Schande im Tode, und daß er es fuͤr anstaͤndiger gehalten, oͤffentlich mit einer Standhaftigkeit zu sterben, als auf eine feige Weise sich heimlich das Leben zu nehmen? daß er aber auch dabei mit seinen Sophistereien von der Unvermeidlichkeit seines Schicksals, und von der Verminderung seiner Schuld dadurch, daß er ein Werkzeug zur Ausfuͤhrung des Willens Gottes, und zwar zur Wegschaffung boͤser Menschen, gewesen sey, eine gute Zeitlang sich getaͤuscht und eingeschlaͤfert habe? Mir selbst wenigstens ließ er noch dergleichen merken, und aͤußerte sich sogar, als er auf das Gute gefuͤhrt wurde, das ihm doch auch in seiner Haft, und besonders durch sein sehr leidliches Gefaͤngniß und Ketten, noch wiederfahre, <hi rendition="#b">habe er doch auch nichts so boͤses gethan!</hi> Daß aber bei seinem Scheu vor dem Selbstmord auch etwas religioͤse Gewissenhaftigkeit mit eingemischt gewesen seyn moͤge, ist nicht unwahrscheinlich.«</p> <p>»Nach und nach erkannte er aber die Unmoralitaͤt seines Verbrechens, und fuͤhlte sich uͤberzeugt, daß er sich von seinem Falle die Schuld allein zuschreiben muͤsse; daß er die Sorgfalt und Mittel<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [57/0059]
»Sollte ich irren, wenn ich glaube, daß er, seit seiner Haft, wirklich entschlossen gewesen und geblieben sey, zu sterben, nachdem er einmal auf der Welt ein so verdorbener Mensch geworden war, daß er sich also vor dem Tode an sich nicht gescheuet habe, obgleich fuͤr gewissen Graden der Schande im Tode, und daß er es fuͤr anstaͤndiger gehalten, oͤffentlich mit einer Standhaftigkeit zu sterben, als auf eine feige Weise sich heimlich das Leben zu nehmen? daß er aber auch dabei mit seinen Sophistereien von der Unvermeidlichkeit seines Schicksals, und von der Verminderung seiner Schuld dadurch, daß er ein Werkzeug zur Ausfuͤhrung des Willens Gottes, und zwar zur Wegschaffung boͤser Menschen, gewesen sey, eine gute Zeitlang sich getaͤuscht und eingeschlaͤfert habe? Mir selbst wenigstens ließ er noch dergleichen merken, und aͤußerte sich sogar, als er auf das Gute gefuͤhrt wurde, das ihm doch auch in seiner Haft, und besonders durch sein sehr leidliches Gefaͤngniß und Ketten, noch wiederfahre, habe er doch auch nichts so boͤses gethan! Daß aber bei seinem Scheu vor dem Selbstmord auch etwas religioͤse Gewissenhaftigkeit mit eingemischt gewesen seyn moͤge, ist nicht unwahrscheinlich.«
»Nach und nach erkannte er aber die Unmoralitaͤt seines Verbrechens, und fuͤhlte sich uͤberzeugt, daß er sich von seinem Falle die Schuld allein zuschreiben muͤsse; daß er die Sorgfalt und Mittel
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