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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789.

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mit lächerlichen Bildern, deren sie sich oft von langen Zeiten her wieder erinnern, unterhält. -- Da die Einbildungskraft bei dergleichen Leuten gemeiniglich einen sehr hohen Grad der Lebhaftigkeit bekommen muß; da ihre Vorstellungen von äußern sinnlichen Gegenständen ziemlich eingeschränkt sind, und die Seele sich also mehr auf das, was sie ehemals lebhaft empfunden hat, einschränken und concentriren muß; da sie ferner gemeiniglich eines lebhaften Gemüths sind, und das Contrastirende äußerer Gegenstände ihnen um so viel mehr auffält, weil sie sich es aus Mangel symbolischer Begriffe nicht selbst erklären, oder durch andre deutlich erklären lassen können, so ists ganz natürlich, daß sich die Eindrücke des Lächerlichen sehr schwer aus ihrer Seele verwischen.

Auch unser Herr Verfasser schreibt den Taubstummen einen bis aufs Höchste getriebnen Argwohn zu, und dieser läßt sich, nach seiner sehr richtigen Meinung, theils aus dem unzulänglichen Unterrichte, den sie gewöhnlich bekommen, theils auch ganz besonders wohl daraus am leichtesten erklären, daß es das traurige Loos der Stummen von Jugend an gemeiniglich zu seyn scheint, von muthwilligen Menschen geneckt und auf alle mögliche Art verspottet und gemißhandelt zu werden. Diese traurigen Erfahrungen machen sie gegen jedem, der sich ihnen nähert, argwöhnisch und mißtrauisch, da sie in jedem Unbekannten einen neuen


mit laͤcherlichen Bildern, deren sie sich oft von langen Zeiten her wieder erinnern, unterhaͤlt. — Da die Einbildungskraft bei dergleichen Leuten gemeiniglich einen sehr hohen Grad der Lebhaftigkeit bekommen muß; da ihre Vorstellungen von aͤußern sinnlichen Gegenstaͤnden ziemlich eingeschraͤnkt sind, und die Seele sich also mehr auf das, was sie ehemals lebhaft empfunden hat, einschraͤnken und concentriren muß; da sie ferner gemeiniglich eines lebhaften Gemuͤths sind, und das Contrastirende aͤußerer Gegenstaͤnde ihnen um so viel mehr auffaͤlt, weil sie sich es aus Mangel symbolischer Begriffe nicht selbst erklaͤren, oder durch andre deutlich erklaͤren lassen koͤnnen, so ists ganz natuͤrlich, daß sich die Eindruͤcke des Laͤcherlichen sehr schwer aus ihrer Seele verwischen.

Auch unser Herr Verfasser schreibt den Taubstummen einen bis aufs Hoͤchste getriebnen Argwohn zu, und dieser laͤßt sich, nach seiner sehr richtigen Meinung, theils aus dem unzulaͤnglichen Unterrichte, den sie gewoͤhnlich bekommen, theils auch ganz besonders wohl daraus am leichtesten erklaͤren, daß es das traurige Loos der Stummen von Jugend an gemeiniglich zu seyn scheint, von muthwilligen Menschen geneckt und auf alle moͤgliche Art verspottet und gemißhandelt zu werden. Diese traurigen Erfahrungen machen sie gegen jedem, der sich ihnen naͤhert, argwoͤhnisch und mißtrauisch, da sie in jedem Unbekannten einen neuen

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[9/0011] mit laͤcherlichen Bildern, deren sie sich oft von langen Zeiten her wieder erinnern, unterhaͤlt. — Da die Einbildungskraft bei dergleichen Leuten gemeiniglich einen sehr hohen Grad der Lebhaftigkeit bekommen muß; da ihre Vorstellungen von aͤußern sinnlichen Gegenstaͤnden ziemlich eingeschraͤnkt sind, und die Seele sich also mehr auf das, was sie ehemals lebhaft empfunden hat, einschraͤnken und concentriren muß; da sie ferner gemeiniglich eines lebhaften Gemuͤths sind, und das Contrastirende aͤußerer Gegenstaͤnde ihnen um so viel mehr auffaͤlt, weil sie sich es aus Mangel symbolischer Begriffe nicht selbst erklaͤren, oder durch andre deutlich erklaͤren lassen koͤnnen, so ists ganz natuͤrlich, daß sich die Eindruͤcke des Laͤcherlichen sehr schwer aus ihrer Seele verwischen. Auch unser Herr Verfasser schreibt den Taubstummen einen bis aufs Hoͤchste getriebnen Argwohn zu, und dieser laͤßt sich, nach seiner sehr richtigen Meinung, theils aus dem unzulaͤnglichen Unterrichte, den sie gewoͤhnlich bekommen, theils auch ganz besonders wohl daraus am leichtesten erklaͤren, daß es das traurige Loos der Stummen von Jugend an gemeiniglich zu seyn scheint, von muthwilligen Menschen geneckt und auf alle moͤgliche Art verspottet und gemißhandelt zu werden. Diese traurigen Erfahrungen machen sie gegen jedem, der sich ihnen naͤhert, argwoͤhnisch und mißtrauisch, da sie in jedem Unbekannten einen neuen

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 1. Berlin, 1789, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0701_1789/11>, abgerufen am 23.04.2024.