Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


Geschmack betreffen, mit welcher Lebhaftigkeit wir uns dieser Begriffe im Wachen nicht erinnern können. Es scheint also in der That, als ob die weniger edlen Sinne, der Geruch und Geschmack eine stärkere Erinnerung an dergleichen gehabte Empfindungen im Traume veranlassen können, als im Wachen. Wenn man auf sich Acht giebt; so wird man finden, daß man oft im Traume mit einer solchen Deutlichkeit den Geruch einer Blume, einer Speise wahrnimmt, als ob wir ihn unmittelbar empfänden. Wir mögen es aber machen, wie wir wollen; so werden wir im Wachen uns dergleichen Sensationen immer nur wieder schwach erinnern, wenigstens nie so lebhaft als derjenigen, welche sich auf Formen und Töne, oder auf Gesicht und Gehör beziehen, welche leztere Sinne offenbar eine lebhaftere Erinnerungskraft im Wachen gewähren. Eben weil nun aber diese beiden ersten Sinne im Traume nicht unmittelbar beschäftigt worden; so gewinnen die Sensationen des Geschmacks, Geruchs und Gefühls einer desto größern Lebhaftigkeit; so wie überhaupt alles, was wir im Traume lebhafter denken und empfinden als im Wachen, theils daher rührt, daß sich die Seele, ohne von Eindrücken äusserer Sinne gestört zu werden, mehr auf einen einzigen Punct ihrer Vorstellungen gleichsam zusammenziehen kann; theils daher, daß die Einbildungskraft sich von den Banden des langsamern Nachdenkens über sie befreiet


Geschmack betreffen, mit welcher Lebhaftigkeit wir uns dieser Begriffe im Wachen nicht erinnern koͤnnen. Es scheint also in der That, als ob die weniger edlen Sinne, der Geruch und Geschmack eine staͤrkere Erinnerung an dergleichen gehabte Empfindungen im Traume veranlassen koͤnnen, als im Wachen. Wenn man auf sich Acht giebt; so wird man finden, daß man oft im Traume mit einer solchen Deutlichkeit den Geruch einer Blume, einer Speise wahrnimmt, als ob wir ihn unmittelbar empfaͤnden. Wir moͤgen es aber machen, wie wir wollen; so werden wir im Wachen uns dergleichen Sensationen immer nur wieder schwach erinnern, wenigstens nie so lebhaft als derjenigen, welche sich auf Formen und Toͤne, oder auf Gesicht und Gehoͤr beziehen, welche leztere Sinne offenbar eine lebhaftere Erinnerungskraft im Wachen gewaͤhren. Eben weil nun aber diese beiden ersten Sinne im Traume nicht unmittelbar beschaͤftigt worden; so gewinnen die Sensationen des Geschmacks, Geruchs und Gefuͤhls einer desto groͤßern Lebhaftigkeit; so wie uͤberhaupt alles, was wir im Traume lebhafter denken und empfinden als im Wachen, theils daher ruͤhrt, daß sich die Seele, ohne von Eindruͤcken aͤusserer Sinne gestoͤrt zu werden, mehr auf einen einzigen Punct ihrer Vorstellungen gleichsam zusammenziehen kann; theils daher, daß die Einbildungskraft sich von den Banden des langsamern Nachdenkens uͤber sie befreiet

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0088" n="88"/><lb/><hi rendition="#b">Geschmack</hi> betreffen, mit welcher Lebhaftigkeit wir uns dieser                         Begriffe im Wachen nicht erinnern ko&#x0364;nnen. Es scheint also in der That, als                         ob die <choice><corr>weniger</corr><sic>wenigen</sic></choice> edlen Sinne, der Geruch und Geschmack eine sta&#x0364;rkere                         Erinnerung an dergleichen gehabte Empfindungen im Traume veranlassen ko&#x0364;nnen,                         als im Wachen. Wenn man auf sich Acht giebt; so wird man finden, daß man oft                         im Traume mit einer solchen Deutlichkeit den Geruch einer Blume, einer                         Speise wahrnimmt, als ob wir ihn unmittelbar empfa&#x0364;nden. Wir mo&#x0364;gen es aber                         machen, wie wir wollen; so werden wir im Wachen uns dergleichen Sensationen                         immer nur wieder schwach erinnern, wenigstens nie so lebhaft als derjenigen,                         welche sich auf Formen und To&#x0364;ne, oder auf Gesicht und Geho&#x0364;r beziehen, welche                         leztere Sinne offenbar eine lebhaftere Erinnerungskraft im Wachen <choice><corr>gewa&#x0364;hren.</corr><sic>gewo&#x0364;hnen.</sic></choice>                         Eben weil nun aber diese beiden ersten Sinne im Traume nicht unmittelbar                         bescha&#x0364;ftigt worden; so gewinnen die Sensationen des Geschmacks, Geruchs und                         Gefu&#x0364;hls einer desto gro&#x0364;ßern Lebhaftigkeit; so wie u&#x0364;berhaupt alles, was wir                         im Traume lebhafter denken und empfinden als im Wachen, theils daher ru&#x0364;hrt,                         daß sich die Seele, ohne von Eindru&#x0364;cken a&#x0364;usserer Sinne gesto&#x0364;rt zu werden,                         mehr auf einen einzigen Punct ihrer Vorstellungen gleichsam zusammenziehen                         kann; theils daher, daß die Einbildungskraft <choice><corr>sich von                                 den Banden des langsamern Nachdenkens u&#x0364;ber sie </corr><sic>u&#x0364;ber sie sich von den Banden des langsamern Nachdenkens</sic></choice>                         befreiet<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0088] Geschmack betreffen, mit welcher Lebhaftigkeit wir uns dieser Begriffe im Wachen nicht erinnern koͤnnen. Es scheint also in der That, als ob die weniger edlen Sinne, der Geruch und Geschmack eine staͤrkere Erinnerung an dergleichen gehabte Empfindungen im Traume veranlassen koͤnnen, als im Wachen. Wenn man auf sich Acht giebt; so wird man finden, daß man oft im Traume mit einer solchen Deutlichkeit den Geruch einer Blume, einer Speise wahrnimmt, als ob wir ihn unmittelbar empfaͤnden. Wir moͤgen es aber machen, wie wir wollen; so werden wir im Wachen uns dergleichen Sensationen immer nur wieder schwach erinnern, wenigstens nie so lebhaft als derjenigen, welche sich auf Formen und Toͤne, oder auf Gesicht und Gehoͤr beziehen, welche leztere Sinne offenbar eine lebhaftere Erinnerungskraft im Wachen gewaͤhren. Eben weil nun aber diese beiden ersten Sinne im Traume nicht unmittelbar beschaͤftigt worden; so gewinnen die Sensationen des Geschmacks, Geruchs und Gefuͤhls einer desto groͤßern Lebhaftigkeit; so wie uͤberhaupt alles, was wir im Traume lebhafter denken und empfinden als im Wachen, theils daher ruͤhrt, daß sich die Seele, ohne von Eindruͤcken aͤusserer Sinne gestoͤrt zu werden, mehr auf einen einzigen Punct ihrer Vorstellungen gleichsam zusammenziehen kann; theils daher, daß die Einbildungskraft sich von den Banden des langsamern Nachdenkens uͤber sie befreiet

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/88
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/88>, abgerufen am 03.05.2024.