Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788.Wir sind gewohnt das, was wir lieben, selbst wenn wir es nicht besitzen, und nicht besitzen können, für eine Art unsers Eigenthums zu halten. Eine Erscheinung, die daher rührt, daß das beständige Andenken an den geliebten Gegenstand, die Sorge und Bemühung für seine glückliche Fortdauer, die Theilnahme an seinen Veränderungen, und vielleicht nur ein geistiger Umgang mit demselben uns ein Recht auf denselben zu geben scheint, und ihn gleichsam in alle unsre Gefühle und Gedanken hinein webt; -- oder auch mit daher, daß sich der geliebte Gegenstand auf irgend eine Art uns selbst als Eigenthum dargeboten hat, und wir über seine Empfindungen und Handlungen herrschen können. Jemehr und zärtlicher wir lieben, jemehr betrachten wir den geliebten Gegenstand als etwas, das uns zugehört, und jemehr fürchten wir denn auch, ihn zu verliehren, selbst dann noch, wenn kein reeller Grund dieser Furcht vorhanden ist, und vorhanden seyn kann. Betrachten wir jenen Gegenstand nicht mehr als unser Eigenthum, wird unsre Eigenliebe nicht mehr in sein Jnteresse hineingezogen; so beneiden wir auch den nicht, welcher ihn besizt; ja wir beklagen ihn wohl gar, wenn wir einsehen, daß der Besitz desselben ihn nicht glüklich machen könne, und freuen uns nicht selten, wenn wir alle vorige Verbindungen mit dem nun nicht mehr geliebten Gegenstande aufheben dürfen. Wir sind gewohnt das, was wir lieben, selbst wenn wir es nicht besitzen, und nicht besitzen koͤnnen, fuͤr eine Art unsers Eigenthums zu halten. Eine Erscheinung, die daher ruͤhrt, daß das bestaͤndige Andenken an den geliebten Gegenstand, die Sorge und Bemuͤhung fuͤr seine gluͤckliche Fortdauer, die Theilnahme an seinen Veraͤnderungen, und vielleicht nur ein geistiger Umgang mit demselben uns ein Recht auf denselben zu geben scheint, und ihn gleichsam in alle unsre Gefuͤhle und Gedanken hinein webt; — oder auch mit daher, daß sich der geliebte Gegenstand auf irgend eine Art uns selbst als Eigenthum dargeboten hat, und wir uͤber seine Empfindungen und Handlungen herrschen koͤnnen. Jemehr und zaͤrtlicher wir lieben, jemehr betrachten wir den geliebten Gegenstand als etwas, das uns zugehoͤrt, und jemehr fuͤrchten wir denn auch, ihn zu verliehren, selbst dann noch, wenn kein reeller Grund dieser Furcht vorhanden ist, und vorhanden seyn kann. Betrachten wir jenen Gegenstand nicht mehr als unser Eigenthum, wird unsre Eigenliebe nicht mehr in sein Jnteresse hineingezogen; so beneiden wir auch den nicht, welcher ihn besizt; ja wir beklagen ihn wohl gar, wenn wir einsehen, daß der Besitz desselben ihn nicht gluͤklich machen koͤnne, und freuen uns nicht selten, wenn wir alle vorige Verbindungen mit dem nun nicht mehr geliebten Gegenstande aufheben duͤrfen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0053" n="53"/><lb/> <p>Wir sind gewohnt das, was wir lieben, selbst wenn wir es nicht besitzen, und nicht besitzen koͤnnen, fuͤr eine Art unsers <hi rendition="#b">Eigenthums</hi> zu halten. Eine Erscheinung, die daher ruͤhrt, daß das bestaͤndige Andenken an den geliebten Gegenstand, die Sorge und Bemuͤhung fuͤr seine gluͤckliche Fortdauer, die Theilnahme an seinen Veraͤnderungen, und vielleicht nur ein geistiger Umgang mit demselben uns ein Recht auf denselben zu geben scheint, und ihn gleichsam in alle unsre Gefuͤhle und Gedanken hinein webt; — oder auch mit daher, daß sich der geliebte Gegenstand auf irgend eine Art uns selbst als Eigenthum dargeboten hat, und wir uͤber seine Empfindungen und Handlungen <hi rendition="#b">herrschen</hi> koͤnnen. Jemehr und zaͤrtlicher wir lieben, jemehr betrachten wir den geliebten Gegenstand als etwas, das uns zugehoͤrt, und jemehr fuͤrchten wir denn auch, ihn zu verliehren, selbst dann noch, wenn kein reeller Grund dieser Furcht vorhanden ist, und vorhanden seyn kann. Betrachten wir jenen Gegenstand nicht mehr als unser Eigenthum, wird unsre Eigenliebe nicht mehr in sein Jnteresse hineingezogen; so beneiden wir auch den nicht, welcher ihn besizt; ja wir beklagen ihn wohl gar, wenn wir einsehen, daß der Besitz desselben ihn nicht gluͤklich machen koͤnne, und freuen uns nicht selten, wenn wir alle vorige Verbindungen mit dem nun nicht mehr geliebten Gegenstande aufheben duͤrfen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [53/0053]
Wir sind gewohnt das, was wir lieben, selbst wenn wir es nicht besitzen, und nicht besitzen koͤnnen, fuͤr eine Art unsers Eigenthums zu halten. Eine Erscheinung, die daher ruͤhrt, daß das bestaͤndige Andenken an den geliebten Gegenstand, die Sorge und Bemuͤhung fuͤr seine gluͤckliche Fortdauer, die Theilnahme an seinen Veraͤnderungen, und vielleicht nur ein geistiger Umgang mit demselben uns ein Recht auf denselben zu geben scheint, und ihn gleichsam in alle unsre Gefuͤhle und Gedanken hinein webt; — oder auch mit daher, daß sich der geliebte Gegenstand auf irgend eine Art uns selbst als Eigenthum dargeboten hat, und wir uͤber seine Empfindungen und Handlungen herrschen koͤnnen. Jemehr und zaͤrtlicher wir lieben, jemehr betrachten wir den geliebten Gegenstand als etwas, das uns zugehoͤrt, und jemehr fuͤrchten wir denn auch, ihn zu verliehren, selbst dann noch, wenn kein reeller Grund dieser Furcht vorhanden ist, und vorhanden seyn kann. Betrachten wir jenen Gegenstand nicht mehr als unser Eigenthum, wird unsre Eigenliebe nicht mehr in sein Jnteresse hineingezogen; so beneiden wir auch den nicht, welcher ihn besizt; ja wir beklagen ihn wohl gar, wenn wir einsehen, daß der Besitz desselben ihn nicht gluͤklich machen koͤnne, und freuen uns nicht selten, wenn wir alle vorige Verbindungen mit dem nun nicht mehr geliebten Gegenstande aufheben duͤrfen.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 3. Berlin, 1788, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0603_1788/53>, abgerufen am 16.07.2024. |