Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 2. Berlin, 1788.
Jch merke noch geflissentlich die Stelle aus des Verfassers Briefen an, daß nämlich dergleichen Phänomene fast immer an Weibern, an abgelebten und nervenkranken Personen jene Vorhersehungskräfte bemerkt werden sollen. Jch glaube aber, daß uns auch nichts als diese Bemerkung selbst gegen diese Kräfte mißtrauischer machen sollte. Die weibliche Phantasie ist, nach dem Zeugniß aller Psychologen und aller Zeiten, der größten Ausschweifungen fähig. Die Schwärmerei jeder Art hat immer in der Seele des andern Geschlechts eine freundliche Aufnahme gefunden, und die Geisterseherei, Traumdeuterei, Ahndungswuth, Vorherwisserei wird nie aussterben, so lange es Weiber giebt. -- Abgelebte Personen sind schon darum
Jch merke noch geflissentlich die Stelle aus des Verfassers Briefen an, daß naͤmlich dergleichen Phaͤnomene fast immer an Weibern, an abgelebten und nervenkranken Personen jene Vorhersehungskraͤfte bemerkt werden sollen. Jch glaube aber, daß uns auch nichts als diese Bemerkung selbst gegen diese Kraͤfte mißtrauischer machen sollte. Die weibliche Phantasie ist, nach dem Zeugniß aller Psychologen und aller Zeiten, der groͤßten Ausschweifungen faͤhig. Die Schwaͤrmerei jeder Art hat immer in der Seele des andern Geschlechts eine freundliche Aufnahme gefunden, und die Geisterseherei, Traumdeuterei, Ahndungswuth, Vorherwisserei wird nie aussterben, so lange es Weiber giebt. — Abgelebte Personen sind schon darum <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0069" n="69"/><lb/> der Verfasser daruͤber gesprochen haben will, thut zur Verificirung einer wirklichen Ahndung nichts. Waren jene Zeugen aufgeklaͤrte Leute, liessen sie sich nicht hintergehn, waren sie nicht schon fuͤr die Ahndungsgeschichte eingenommen, und hatten sie das Ding mit philosophischer Aufmerksamkeit gepruͤft? Die Menschen werden nur zu leicht betrogen, wenn es auf Wundererzaͤhlungen ankommt, und der scharfsinnigste Kopf muß grade alsdann selbst sehr auf seiner Hut seyn. Die Akademie zu Neapel hat die naͤmliche Geschichte erzaͤhlt, und fast eben so, wie der Verfasser; aber — wie oft haben sich die hochloͤblichen Akademieen taͤuschen lassen!</p> <p>Jch merke noch geflissentlich die Stelle aus des Verfassers Briefen an, daß naͤmlich dergleichen Phaͤnomene fast immer an Weibern, an abgelebten und nervenkranken Personen jene Vorhersehungskraͤfte bemerkt werden sollen. Jch glaube aber, daß uns auch nichts als diese Bemerkung selbst gegen diese Kraͤfte mißtrauischer machen sollte. Die weibliche Phantasie ist, nach dem Zeugniß aller Psychologen und aller Zeiten, der groͤßten Ausschweifungen faͤhig. Die Schwaͤrmerei jeder Art hat immer in der Seele des andern Geschlechts eine freundliche Aufnahme gefunden, und die Geisterseherei, Traumdeuterei, Ahndungswuth, Vorherwisserei wird nie aussterben, so lange es Weiber giebt. — Abgelebte Personen sind schon darum<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0069]
der Verfasser daruͤber gesprochen haben will, thut zur Verificirung einer wirklichen Ahndung nichts. Waren jene Zeugen aufgeklaͤrte Leute, liessen sie sich nicht hintergehn, waren sie nicht schon fuͤr die Ahndungsgeschichte eingenommen, und hatten sie das Ding mit philosophischer Aufmerksamkeit gepruͤft? Die Menschen werden nur zu leicht betrogen, wenn es auf Wundererzaͤhlungen ankommt, und der scharfsinnigste Kopf muß grade alsdann selbst sehr auf seiner Hut seyn. Die Akademie zu Neapel hat die naͤmliche Geschichte erzaͤhlt, und fast eben so, wie der Verfasser; aber — wie oft haben sich die hochloͤblichen Akademieen taͤuschen lassen!
Jch merke noch geflissentlich die Stelle aus des Verfassers Briefen an, daß naͤmlich dergleichen Phaͤnomene fast immer an Weibern, an abgelebten und nervenkranken Personen jene Vorhersehungskraͤfte bemerkt werden sollen. Jch glaube aber, daß uns auch nichts als diese Bemerkung selbst gegen diese Kraͤfte mißtrauischer machen sollte. Die weibliche Phantasie ist, nach dem Zeugniß aller Psychologen und aller Zeiten, der groͤßten Ausschweifungen faͤhig. Die Schwaͤrmerei jeder Art hat immer in der Seele des andern Geschlechts eine freundliche Aufnahme gefunden, und die Geisterseherei, Traumdeuterei, Ahndungswuth, Vorherwisserei wird nie aussterben, so lange es Weiber giebt. — Abgelebte Personen sind schon darum
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |