Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


chem eine Kammer lag, die aber keinen Ausgang hatte. Jndem ich hereinkam, ward ich eine weisse Dunstfigur gewahr, die die Größe meines Bruders hatte, vor dem Spiegel stand, und die Hände am Kopf in die Höhe hielt. Hierbei muß ich bemerken, daß er die Art hatte, wenn er frisirt war, sich vor dem Spiegel mit beiden Händen zugleich die Locken nach seinem Belieben zu stellen, und auch in eben dieser Stellung fand ich ihn in der Stube vor dem Spiegel. Jn dem Augenblick aber auch, da ich hereintrat, ließ er die Hände sinken, kehrte mir den Rücken zu, und schwebte vor mir der Kammerthüre zu, die etwa eines Fingers breit offen stand. Gott allein weiß es, wie es kam, daß ich mich in dem Augenblick nicht erschrack, ich weiß auch nicht, was ich dachte; aber ich verfolgte diese Gestalt bis an die Thüre, wo sie sich durch die kleine Oeffnung der Thüre wand, als wenn der Rauch sich irgendwo durchzieht und die Figur der Oeffnung annimmt. Ob es zwar ein stark neblichter Herbsttag war, so war doch das ganze Zimmer so helle und erleuchtet, als wenn an einem schönen Sommertage die brennende Sonne darein scheinet, und dieser Dunstkörper (anders kann ich ihn nicht nennen und beschreiben, denn es war, als wenn eine weiße Lichtwolke vor mir schwebte,) warf an der entgegengesetzten Seite von mir einen so starken dunklen Schatten, wie ein jeder Körper beim starken Sonnenlichte wirft, der sich auf meinem Bette, was da an der


chem eine Kammer lag, die aber keinen Ausgang hatte. Jndem ich hereinkam, ward ich eine weisse Dunstfigur gewahr, die die Groͤße meines Bruders hatte, vor dem Spiegel stand, und die Haͤnde am Kopf in die Hoͤhe hielt. Hierbei muß ich bemerken, daß er die Art hatte, wenn er frisirt war, sich vor dem Spiegel mit beiden Haͤnden zugleich die Locken nach seinem Belieben zu stellen, und auch in eben dieser Stellung fand ich ihn in der Stube vor dem Spiegel. Jn dem Augenblick aber auch, da ich hereintrat, ließ er die Haͤnde sinken, kehrte mir den Ruͤcken zu, und schwebte vor mir der Kammerthuͤre zu, die etwa eines Fingers breit offen stand. Gott allein weiß es, wie es kam, daß ich mich in dem Augenblick nicht erschrack, ich weiß auch nicht, was ich dachte; aber ich verfolgte diese Gestalt bis an die Thuͤre, wo sie sich durch die kleine Oeffnung der Thuͤre wand, als wenn der Rauch sich irgendwo durchzieht und die Figur der Oeffnung annimmt. Ob es zwar ein stark neblichter Herbsttag war, so war doch das ganze Zimmer so helle und erleuchtet, als wenn an einem schoͤnen Sommertage die brennende Sonne darein scheinet, und dieser Dunstkoͤrper (anders kann ich ihn nicht nennen und beschreiben, denn es war, als wenn eine weiße Lichtwolke vor mir schwebte,) warf an der entgegengesetzten Seite von mir einen so starken dunklen Schatten, wie ein jeder Koͤrper beim starken Sonnenlichte wirft, der sich auf meinem Bette, was da an der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0091" n="89"/><lb/>
chem eine                   Kammer lag, die aber keinen Ausgang hatte. Jndem ich hereinkam, ward ich eine                   weisse Dunstfigur gewahr, die die Gro&#x0364;ße meines Bruders hatte, vor dem Spiegel                   stand, und die Ha&#x0364;nde am Kopf in die Ho&#x0364;he hielt. Hierbei muß ich bemerken, daß er                   die Art hatte, wenn er frisirt war, sich vor dem Spiegel mit beiden Ha&#x0364;nden                   zugleich die Locken nach seinem Belieben zu stellen, und auch in eben dieser                   Stellung fand ich ihn in der Stube vor dem Spiegel. Jn dem Augenblick aber auch,                   da ich hereintrat, ließ er die Ha&#x0364;nde sinken, kehrte mir den Ru&#x0364;cken zu, und                   schwebte vor mir der Kammerthu&#x0364;re zu, die etwa eines Fingers breit offen stand.                   Gott allein weiß es, wie es kam, daß ich mich in dem Augenblick nicht erschrack,                   ich weiß auch nicht, was ich dachte; aber ich verfolgte diese Gestalt bis an die                   Thu&#x0364;re, wo sie sich durch die kleine Oeffnung der Thu&#x0364;re wand, als wenn der Rauch                   sich irgendwo durchzieht und die Figur der Oeffnung annimmt. Ob es zwar ein stark                   neblichter Herbsttag war, so war doch das ganze Zimmer so helle und erleuchtet,                   als wenn an einem scho&#x0364;nen Sommertage die brennende Sonne darein scheinet, und                   dieser Dunstko&#x0364;rper (anders kann ich ihn nicht nennen und beschreiben, denn es war,                   als wenn eine weiße Lichtwolke vor mir schwebte,) warf an der entgegengesetzten                   Seite von mir einen so starken dunklen Schatten, wie ein jeder Ko&#x0364;rper beim starken                   Sonnenlichte wirft, der sich auf meinem Bette, was da an der<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0091] chem eine Kammer lag, die aber keinen Ausgang hatte. Jndem ich hereinkam, ward ich eine weisse Dunstfigur gewahr, die die Groͤße meines Bruders hatte, vor dem Spiegel stand, und die Haͤnde am Kopf in die Hoͤhe hielt. Hierbei muß ich bemerken, daß er die Art hatte, wenn er frisirt war, sich vor dem Spiegel mit beiden Haͤnden zugleich die Locken nach seinem Belieben zu stellen, und auch in eben dieser Stellung fand ich ihn in der Stube vor dem Spiegel. Jn dem Augenblick aber auch, da ich hereintrat, ließ er die Haͤnde sinken, kehrte mir den Ruͤcken zu, und schwebte vor mir der Kammerthuͤre zu, die etwa eines Fingers breit offen stand. Gott allein weiß es, wie es kam, daß ich mich in dem Augenblick nicht erschrack, ich weiß auch nicht, was ich dachte; aber ich verfolgte diese Gestalt bis an die Thuͤre, wo sie sich durch die kleine Oeffnung der Thuͤre wand, als wenn der Rauch sich irgendwo durchzieht und die Figur der Oeffnung annimmt. Ob es zwar ein stark neblichter Herbsttag war, so war doch das ganze Zimmer so helle und erleuchtet, als wenn an einem schoͤnen Sommertage die brennende Sonne darein scheinet, und dieser Dunstkoͤrper (anders kann ich ihn nicht nennen und beschreiben, denn es war, als wenn eine weiße Lichtwolke vor mir schwebte,) warf an der entgegengesetzten Seite von mir einen so starken dunklen Schatten, wie ein jeder Koͤrper beim starken Sonnenlichte wirft, der sich auf meinem Bette, was da an der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/91
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/91>, abgerufen am 24.11.2024.