Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

men abreisen wollten. Sie wollten eben in den Wagen steigen, als die Offiziere eine sichtbare Veränderung an dem mitreisenden Gelehrten wahrnahmen. Sie fragten ihn: Ob ihm etwas fehle, und was ihn etwa zugestossen wäre? Jch weiß nicht, wie mir wird, war seine Antwort, ich empfinde am ganzen Leibe ein gewaltiges Schaudern, - ich kann nicht mitreisen, es ist, als ob eine unsichtbare Hand mich von Jhnen wegzöge. Die Offiziere lachten über den wunderlichen Mann, baten ihn, sich zu beruhigen, und nur getrost in den Wagen zu steigen, seine Grille würde sich schon verlieren. Alles Bitten und Vorstellen war umsonst. Der junge Gelehrte nahm Abschied von ihnen, und mit dem Augenblick verlor sich seine ganze innere Aengstlichkeit. Weil die Post noch nicht abgefahren war, eilte er dahin, und fuhr nun kaum eine halbe Stunde darauf mit der Post davon, die den nämlichen Weg nahm, den die Offiziere genommen hatten, welche nun schon weit voraus waren. Die Post mußte über die Elbe bei B... und kaum war sie mit unserm Gelehrten angelangt, als man eine Menge Menschen an dem jenseitigen Ufer erblickte, die mit den Händen bald auf die, bald auf die andre Stelle des Flusses wiesen. - - Eine halbe Stunde vorher waren die Offiziere auch über die Elbe auf der Fähre gefahren. Die Pferde waren scheu geworden, hatten sich mit der Kutsche in's Wasser gestürzt, und die beiden Offiziere waren ohne Rettung ertrunken."


men abreisen wollten. Sie wollten eben in den Wagen steigen, als die Offiziere eine sichtbare Veraͤnderung an dem mitreisenden Gelehrten wahrnahmen. Sie fragten ihn: Ob ihm etwas fehle, und was ihn etwa zugestossen waͤre? Jch weiß nicht, wie mir wird, war seine Antwort, ich empfinde am ganzen Leibe ein gewaltiges Schaudern, – ich kann nicht mitreisen, es ist, als ob eine unsichtbare Hand mich von Jhnen wegzoͤge. Die Offiziere lachten uͤber den wunderlichen Mann, baten ihn, sich zu beruhigen, und nur getrost in den Wagen zu steigen, seine Grille wuͤrde sich schon verlieren. Alles Bitten und Vorstellen war umsonst. Der junge Gelehrte nahm Abschied von ihnen, und mit dem Augenblick verlor sich seine ganze innere Aengstlichkeit. Weil die Post noch nicht abgefahren war, eilte er dahin, und fuhr nun kaum eine halbe Stunde darauf mit der Post davon, die den naͤmlichen Weg nahm, den die Offiziere genommen hatten, welche nun schon weit voraus waren. Die Post mußte uͤber die Elbe bei B... und kaum war sie mit unserm Gelehrten angelangt, als man eine Menge Menschen an dem jenseitigen Ufer erblickte, die mit den Haͤnden bald auf die, bald auf die andre Stelle des Flusses wiesen. – – Eine halbe Stunde vorher waren die Offiziere auch uͤber die Elbe auf der Faͤhre gefahren. Die Pferde waren scheu geworden, hatten sich mit der Kutsche in's Wasser gestuͤrzt, und die beiden Offiziere waren ohne Rettung ertrunken.«

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <list>
              <item><pb facs="#f0077" n="75"/><lb/>
men abreisen wollten. Sie wollten eben in den Wagen steigen, als die                   Offiziere eine sichtbare Vera&#x0364;nderung an dem mitreisenden Gelehrten wahrnahmen. Sie                   fragten ihn: Ob ihm etwas fehle, und was ihn etwa zugestossen wa&#x0364;re? Jch weiß                   nicht, wie mir wird, war seine Antwort, ich empfinde am ganzen Leibe ein                   gewaltiges Schaudern, &#x2013; ich kann nicht mitreisen, es ist, als ob eine unsichtbare                   Hand mich von Jhnen wegzo&#x0364;ge. Die Offiziere lachten u&#x0364;ber den wunderlichen Mann,                   baten ihn, sich zu beruhigen, und nur getrost in den Wagen zu steigen, seine                   Grille wu&#x0364;rde sich schon verlieren. Alles Bitten und Vorstellen war umsonst. Der                   junge Gelehrte nahm Abschied von ihnen, und mit dem Augenblick verlor sich seine                   ganze innere Aengstlichkeit. Weil die Post noch nicht abgefahren war, eilte er                   dahin, und fuhr nun kaum eine halbe Stunde darauf mit der Post davon, die den                   na&#x0364;mlichen Weg nahm, den die Offiziere genommen hatten, welche nun schon weit                   voraus waren. Die Post mußte u&#x0364;ber die Elbe bei B... und kaum war sie mit unserm                   Gelehrten angelangt, als man eine Menge Menschen an dem jenseitigen Ufer                   erblickte, die mit den Ha&#x0364;nden bald auf die, bald auf die andre Stelle des Flusses                   wiesen. &#x2013; &#x2013; Eine halbe Stunde vorher waren die Offiziere auch u&#x0364;ber die Elbe auf                   der Fa&#x0364;hre gefahren. Die Pferde waren scheu geworden, hatten sich mit der Kutsche                   in's Wasser gestu&#x0364;rzt, und die beiden Offiziere waren ohne Rettung <choice><corr>ertrunken.«</corr><sic>ertrunken.</sic></choice></item>
            </list><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0077] men abreisen wollten. Sie wollten eben in den Wagen steigen, als die Offiziere eine sichtbare Veraͤnderung an dem mitreisenden Gelehrten wahrnahmen. Sie fragten ihn: Ob ihm etwas fehle, und was ihn etwa zugestossen waͤre? Jch weiß nicht, wie mir wird, war seine Antwort, ich empfinde am ganzen Leibe ein gewaltiges Schaudern, – ich kann nicht mitreisen, es ist, als ob eine unsichtbare Hand mich von Jhnen wegzoͤge. Die Offiziere lachten uͤber den wunderlichen Mann, baten ihn, sich zu beruhigen, und nur getrost in den Wagen zu steigen, seine Grille wuͤrde sich schon verlieren. Alles Bitten und Vorstellen war umsonst. Der junge Gelehrte nahm Abschied von ihnen, und mit dem Augenblick verlor sich seine ganze innere Aengstlichkeit. Weil die Post noch nicht abgefahren war, eilte er dahin, und fuhr nun kaum eine halbe Stunde darauf mit der Post davon, die den naͤmlichen Weg nahm, den die Offiziere genommen hatten, welche nun schon weit voraus waren. Die Post mußte uͤber die Elbe bei B... und kaum war sie mit unserm Gelehrten angelangt, als man eine Menge Menschen an dem jenseitigen Ufer erblickte, die mit den Haͤnden bald auf die, bald auf die andre Stelle des Flusses wiesen. – – Eine halbe Stunde vorher waren die Offiziere auch uͤber die Elbe auf der Faͤhre gefahren. Die Pferde waren scheu geworden, hatten sich mit der Kutsche in's Wasser gestuͤrzt, und die beiden Offiziere waren ohne Rettung ertrunken.«

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/77
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/77>, abgerufen am 07.05.2024.