Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.
Mit den Wöchnerinnen selbst wird eben ein so starker Aberglaube getrieben. Einige Behandlungsarten derselben sind von der Art, daß man sie nicht einmal sagen darf, ohne die Gesetze der Schamhaftigkeit zu beleidigen; sie alle haben aber wieder ihren Grund, wie aller Aberglaube, in dem Glauben an böse Geister, und in uralten heidnischen Volksvorurtheilen, dergleichen wir mitten in der Christenheit noch sehr viele haben. Viele Weiber tragen in der Wochenstube einige Stunden des Tages die Mützen ihrer Männer. Noch andere haben den Glauben, daß sie sich ihre Wochenzeit über nicht am Fenster sehen lassen dürften, ein Glaube, der vielleicht gute physische Ursachen zum Grunde hat, damit sie sich etwa durch auffallende Gegenstände nicht erschrecken möchten; aber unerklärbar ist mir hierbei noch ein andrer Umstand, daß nämlich viele Wöchnerinnen glauben, sich einen unbekannten Vorübergehenden, wenn sie auch am Fenster stünden, als einen Dieb, Mörder, u. dergl. vorstellen zu müssen. Daß dies würklich ein Aberglaube vieler Wöchnerinnen ist, ist mir von der glaubwürdigsten Frau betheuert worden. Ueberhaupt ist der Ursprung so vieler abergläubischen Meinungen durchaus unbekannt. Oft kann die unbedeutendste Kleinigkeit Veranlassung dazu
Mit den Woͤchnerinnen selbst wird eben ein so starker Aberglaube getrieben. Einige Behandlungsarten derselben sind von der Art, daß man sie nicht einmal sagen darf, ohne die Gesetze der Schamhaftigkeit zu beleidigen; sie alle haben aber wieder ihren Grund, wie aller Aberglaube, in dem Glauben an boͤse Geister, und in uralten heidnischen Volksvorurtheilen, dergleichen wir mitten in der Christenheit noch sehr viele haben. Viele Weiber tragen in der Wochenstube einige Stunden des Tages die Muͤtzen ihrer Maͤnner. Noch andere haben den Glauben, daß sie sich ihre Wochenzeit uͤber nicht am Fenster sehen lassen duͤrften, ein Glaube, der vielleicht gute physische Ursachen zum Grunde hat, damit sie sich etwa durch auffallende Gegenstaͤnde nicht erschrecken moͤchten; aber unerklaͤrbar ist mir hierbei noch ein andrer Umstand, daß naͤmlich viele Woͤchnerinnen glauben, sich einen unbekannten Voruͤbergehenden, wenn sie auch am Fenster stuͤnden, als einen Dieb, Moͤrder, u. dergl. vorstellen zu muͤssen. Daß dies wuͤrklich ein Aberglaube vieler Woͤchnerinnen ist, ist mir von der glaubwuͤrdigsten Frau betheuert worden. Ueberhaupt ist der Ursprung so vieler aberglaͤubischen Meinungen durchaus unbekannt. Oft kann die unbedeutendste Kleinigkeit Veranlassung dazu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0024" n="22"/><lb/> sie von den Vorfahren angenommen sind, auszurotten.«</p> <p>Mit den Woͤchnerinnen selbst wird eben ein so starker Aberglaube getrieben. Einige Behandlungsarten derselben sind von der Art, daß man sie nicht einmal sagen darf, ohne die Gesetze der Schamhaftigkeit zu beleidigen; sie alle haben aber wieder ihren Grund, wie aller Aberglaube, in dem Glauben an boͤse Geister, und in uralten heidnischen Volksvorurtheilen, dergleichen wir mitten in der Christenheit noch sehr viele haben. Viele Weiber tragen in der Wochenstube einige Stunden des Tages die Muͤtzen ihrer Maͤnner. Noch andere haben den Glauben, daß sie sich ihre Wochenzeit uͤber nicht am Fenster sehen lassen duͤrften, ein Glaube, der vielleicht gute physische Ursachen zum Grunde hat, damit sie sich etwa durch auffallende Gegenstaͤnde nicht erschrecken moͤchten; aber unerklaͤrbar ist mir hierbei noch ein andrer Umstand, daß naͤmlich viele Woͤchnerinnen glauben, sich einen <hi rendition="#b">unbekannten</hi> Voruͤbergehenden, wenn sie auch am Fenster stuͤnden, als einen Dieb, Moͤrder, u. dergl. vorstellen zu muͤssen. Daß dies wuͤrklich ein Aberglaube vieler Woͤchnerinnen ist, ist mir von der glaubwuͤrdigsten Frau betheuert worden.</p> <p>Ueberhaupt ist der Ursprung so vieler aberglaͤubischen Meinungen durchaus unbekannt. Oft kann die unbedeutendste Kleinigkeit Veranlassung dazu<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [22/0024]
sie von den Vorfahren angenommen sind, auszurotten.«
Mit den Woͤchnerinnen selbst wird eben ein so starker Aberglaube getrieben. Einige Behandlungsarten derselben sind von der Art, daß man sie nicht einmal sagen darf, ohne die Gesetze der Schamhaftigkeit zu beleidigen; sie alle haben aber wieder ihren Grund, wie aller Aberglaube, in dem Glauben an boͤse Geister, und in uralten heidnischen Volksvorurtheilen, dergleichen wir mitten in der Christenheit noch sehr viele haben. Viele Weiber tragen in der Wochenstube einige Stunden des Tages die Muͤtzen ihrer Maͤnner. Noch andere haben den Glauben, daß sie sich ihre Wochenzeit uͤber nicht am Fenster sehen lassen duͤrften, ein Glaube, der vielleicht gute physische Ursachen zum Grunde hat, damit sie sich etwa durch auffallende Gegenstaͤnde nicht erschrecken moͤchten; aber unerklaͤrbar ist mir hierbei noch ein andrer Umstand, daß naͤmlich viele Woͤchnerinnen glauben, sich einen unbekannten Voruͤbergehenden, wenn sie auch am Fenster stuͤnden, als einen Dieb, Moͤrder, u. dergl. vorstellen zu muͤssen. Daß dies wuͤrklich ein Aberglaube vieler Woͤchnerinnen ist, ist mir von der glaubwuͤrdigsten Frau betheuert worden.
Ueberhaupt ist der Ursprung so vieler aberglaͤubischen Meinungen durchaus unbekannt. Oft kann die unbedeutendste Kleinigkeit Veranlassung dazu
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/24>, abgerufen am 16.07.2024. |