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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

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jeder Traum eine Art Raserey, welche aufhört, sobald die Vernunft nur zusammenhängende Jdeenreihen herbeyführt, und unsere Einbildungskraft in engere Grenzen zurückweist, welches durch die Oeffnung der Sinne allemal geschieht.

Der vorher erzählte Traum war unmittelbar durch das Gespräch über Unsterblichkeit entstanden. Daß man sich sterben sieht, wohl gar im Traume gehenkt und geköpft wird ist nichts ungewöhnliches, ob es gleich jedesmal mit einer unangenehmen Empfindung verbunden ist. Daß dem Träumenden aber die Seele als ein Wölkchen erscheint, läßt sich wohl aus einer Jugendidee erklären, indem sich Kinder, auch wohl erwachsene Leute die Seele als ein Wölkchen oder Flämmchen vorzustellen pflegen, -- weil man doch immer gern ein wenigstens luftiges Bild von einer Seele haben will. Der Gedanke: du vergehst ganz, mußte natürlicher Weise sehr bange Gefühle erzeugen, die keinem überhaupt fremd seyn können, welcher einmal über die Möglichkeit eines gänzlichen Vergehens nachgedacht hat.

Daß die Seele während des Traums einer größern Würksamkeit und Vergleichungskraft als im Wachen fähig sey, und mithin im Traum Ahndungen von zukünftigen Dingen bekommen könne, wie einige behauptet haben, ist ein höchst unpsychologischer Satz. Wir denken im Traum nach allgemeinen und unläugbaren Erfahrungen gewöhnlich viel


jeder Traum eine Art Raserey, welche aufhoͤrt, sobald die Vernunft nur zusammenhaͤngende Jdeenreihen herbeyfuͤhrt, und unsere Einbildungskraft in engere Grenzen zuruͤckweist, welches durch die Oeffnung der Sinne allemal geschieht.

Der vorher erzaͤhlte Traum war unmittelbar durch das Gespraͤch uͤber Unsterblichkeit entstanden. Daß man sich sterben sieht, wohl gar im Traume gehenkt und gekoͤpft wird ist nichts ungewoͤhnliches, ob es gleich jedesmal mit einer unangenehmen Empfindung verbunden ist. Daß dem Traͤumenden aber die Seele als ein Woͤlkchen erscheint, laͤßt sich wohl aus einer Jugendidee erklaͤren, indem sich Kinder, auch wohl erwachsene Leute die Seele als ein Woͤlkchen oder Flaͤmmchen vorzustellen pflegen, — weil man doch immer gern ein wenigstens luftiges Bild von einer Seele haben will. Der Gedanke: du vergehst ganz, mußte natuͤrlicher Weise sehr bange Gefuͤhle erzeugen, die keinem uͤberhaupt fremd seyn koͤnnen, welcher einmal uͤber die Moͤglichkeit eines gaͤnzlichen Vergehens nachgedacht hat.

Daß die Seele waͤhrend des Traums einer groͤßern Wuͤrksamkeit und Vergleichungskraft als im Wachen faͤhig sey, und mithin im Traum Ahndungen von zukuͤnftigen Dingen bekommen koͤnne, wie einige behauptet haben, ist ein hoͤchst unpsychologischer Satz. Wir denken im Traum nach allgemeinen und unlaͤugbaren Erfahrungen gewoͤhnlich viel

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[51/0051] jeder Traum eine Art Raserey, welche aufhoͤrt, sobald die Vernunft nur zusammenhaͤngende Jdeenreihen herbeyfuͤhrt, und unsere Einbildungskraft in engere Grenzen zuruͤckweist, welches durch die Oeffnung der Sinne allemal geschieht. Der vorher erzaͤhlte Traum war unmittelbar durch das Gespraͤch uͤber Unsterblichkeit entstanden. Daß man sich sterben sieht, wohl gar im Traume gehenkt und gekoͤpft wird ist nichts ungewoͤhnliches, ob es gleich jedesmal mit einer unangenehmen Empfindung verbunden ist. Daß dem Traͤumenden aber die Seele als ein Woͤlkchen erscheint, laͤßt sich wohl aus einer Jugendidee erklaͤren, indem sich Kinder, auch wohl erwachsene Leute die Seele als ein Woͤlkchen oder Flaͤmmchen vorzustellen pflegen, — weil man doch immer gern ein wenigstens luftiges Bild von einer Seele haben will. Der Gedanke: du vergehst ganz, mußte natuͤrlicher Weise sehr bange Gefuͤhle erzeugen, die keinem uͤberhaupt fremd seyn koͤnnen, welcher einmal uͤber die Moͤglichkeit eines gaͤnzlichen Vergehens nachgedacht hat. Daß die Seele waͤhrend des Traums einer groͤßern Wuͤrksamkeit und Vergleichungskraft als im Wachen faͤhig sey, und mithin im Traum Ahndungen von zukuͤnftigen Dingen bekommen koͤnne, wie einige behauptet haben, ist ein hoͤchst unpsychologischer Satz. Wir denken im Traum nach allgemeinen und unlaͤugbaren Erfahrungen gewoͤhnlich viel

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/51>, abgerufen am 28.04.2024.