Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.
Ja selbst die ersten Anwandelungen von Wahnsinn (den man vielleicht nicht ohne Grund eine continuirliche Schwärmerey nennen kann) benennen wir, solange das Verwirren und Jneinanderwerfen der Jdeen noch nicht herrschend geworden ist, mit dem Namen der Schwärmerey, und die Verwandschaft des Genies mit dem Wahnsinn, auf die Shakespears Hamlet winkt, ergiebt sich aus dieser letztern Bedeutung mit der oben angeführten zusammengenommen von selbst. Jn einer gelindern Bedeutung brauchen wir das Wort Schwärmer von Plan- und Projectmachern und andern Leuten der Art, die irgend eine Jdee mit dem Grade der Lebhaftigkeit denken, der mit dem gewöhnlichen Jdeengange unverhältnißmässig ist; wenn sie z.B. bey einem auszuführenden Plane oder Entwurf eine Reihe nothwendig an einandergeketteter Folgen, große Aussichten, unausbleibliche Vortheile da sehen, wo wir, nach der gewöhnlichen Art zu urtheilen und zu schliessen, dergleichen gar nicht sehen; wenn ihnen Wahrscheinlichkeit, höchste Gewißheit; bloße Möglichkeit, Realität; Gedanke Thatsache ist, und alle ihre Schlüsse und Urtheile sich auf diese täuschende Verwechselung gründen.
Ja selbst die ersten Anwandelungen von Wahnsinn (den man vielleicht nicht ohne Grund eine continuirliche Schwaͤrmerey nennen kann) benennen wir, solange das Verwirren und Jneinanderwerfen der Jdeen noch nicht herrschend geworden ist, mit dem Namen der Schwaͤrmerey, und die Verwandschaft des Genies mit dem Wahnsinn, auf die Shakespears Hamlet winkt, ergiebt sich aus dieser letztern Bedeutung mit der oben angefuͤhrten zusammengenommen von selbst. Jn einer gelindern Bedeutung brauchen wir das Wort Schwaͤrmer von Plan- und Projectmachern und andern Leuten der Art, die irgend eine Jdee mit dem Grade der Lebhaftigkeit denken, der mit dem gewoͤhnlichen Jdeengange unverhaͤltnißmaͤssig ist; wenn sie z.B. bey einem auszufuͤhrenden Plane oder Entwurf eine Reihe nothwendig an einandergeketteter Folgen, große Aussichten, unausbleibliche Vortheile da sehen, wo wir, nach der gewoͤhnlichen Art zu urtheilen und zu schliessen, dergleichen gar nicht sehen; wenn ihnen Wahrscheinlichkeit, hoͤchste Gewißheit; bloße Moͤglichkeit, Realitaͤt; Gedanke Thatsache ist, und alle ihre Schluͤsse und Urtheile sich auf diese taͤuschende Verwechselung gruͤnden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0028" n="28"/><lb/> außer so vielen andern Zufaͤlligkeiten auch selbst die jedesmalige Jdeenlage des Urtheilenden uͤber die Bedeutung desselben entscheide.</p> <p>Ja selbst die ersten Anwandelungen von Wahnsinn (den man vielleicht nicht ohne Grund eine continuirliche Schwaͤrmerey nennen kann) benennen wir, solange das Verwirren und Jneinanderwerfen der Jdeen noch nicht herrschend geworden ist, mit dem Namen der Schwaͤrmerey, und die Verwandschaft des Genies mit dem Wahnsinn, auf die <hi rendition="#b">Shakespears</hi> Hamlet winkt, ergiebt sich aus dieser letztern Bedeutung mit der oben angefuͤhrten zusammengenommen von selbst.</p> <p>Jn einer gelindern Bedeutung brauchen wir das Wort Schwaͤrmer von Plan- und Projectmachern und andern Leuten der Art, die irgend eine Jdee mit dem Grade der Lebhaftigkeit denken, der mit dem gewoͤhnlichen Jdeengange unverhaͤltnißmaͤssig ist; wenn sie z.B. bey einem auszufuͤhrenden Plane oder Entwurf eine Reihe nothwendig an einandergeketteter Folgen, große Aussichten, unausbleibliche Vortheile da sehen, wo wir, nach der gewoͤhnlichen Art zu urtheilen und zu schliessen, dergleichen gar nicht sehen; wenn ihnen Wahrscheinlichkeit, hoͤchste Gewißheit; bloße Moͤglichkeit, Realitaͤt; Gedanke Thatsache ist, und alle ihre Schluͤsse und Urtheile sich auf diese taͤuschende Verwechselung gruͤnden.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [28/0028]
außer so vielen andern Zufaͤlligkeiten auch selbst die jedesmalige Jdeenlage des Urtheilenden uͤber die Bedeutung desselben entscheide.
Ja selbst die ersten Anwandelungen von Wahnsinn (den man vielleicht nicht ohne Grund eine continuirliche Schwaͤrmerey nennen kann) benennen wir, solange das Verwirren und Jneinanderwerfen der Jdeen noch nicht herrschend geworden ist, mit dem Namen der Schwaͤrmerey, und die Verwandschaft des Genies mit dem Wahnsinn, auf die Shakespears Hamlet winkt, ergiebt sich aus dieser letztern Bedeutung mit der oben angefuͤhrten zusammengenommen von selbst.
Jn einer gelindern Bedeutung brauchen wir das Wort Schwaͤrmer von Plan- und Projectmachern und andern Leuten der Art, die irgend eine Jdee mit dem Grade der Lebhaftigkeit denken, der mit dem gewoͤhnlichen Jdeengange unverhaͤltnißmaͤssig ist; wenn sie z.B. bey einem auszufuͤhrenden Plane oder Entwurf eine Reihe nothwendig an einandergeketteter Folgen, große Aussichten, unausbleibliche Vortheile da sehen, wo wir, nach der gewoͤhnlichen Art zu urtheilen und zu schliessen, dergleichen gar nicht sehen; wenn ihnen Wahrscheinlichkeit, hoͤchste Gewißheit; bloße Moͤglichkeit, Realitaͤt; Gedanke Thatsache ist, und alle ihre Schluͤsse und Urtheile sich auf diese taͤuschende Verwechselung gruͤnden.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/28>, abgerufen am 16.02.2025. |