Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0021" n="21"/><lb/> Winters nahe bey ihrem Hause eine Messe hoͤrte. Die Messe war fast vorbey, als ihre Augen auf einen Cavalier, der neben ihr einen Stuhl nahm, fielen, worauf sie sogleich ein lautes Geschrei erhub und in Ohnmacht sank. Man gab sich alle Muͤhe, ihr zu Huͤlfe zu kommen. Sie oͤffnete endlich die Augen, und der erste Gebrauch, den sie von ihrer Sprache machte, war, daß sie ihren Leuten befahl, den Herrn aufzusuchen, der die Ursach ihrer Ohnmacht gewesen war, und ihn zu beschwoͤren, daß er zu ihr kaͤme. Er war noch nicht aus der Kirche weg, und da er hoͤrte, daß diese Dame ihn zu sprechen verlange, folgte er ihr nach. Ach meine Mutter, rief die ungluͤckliche Witwe, als sie nach Hause kam, ich habe eben denjenigen erkannt, der die letzten Seufzer meines armen Mannes angehoͤrt hat! und sogleich beschwor sie den Officier, ihr von den Umstaͤnden einer so traurigen Begebenheit Nachricht zu geben. Der Officier konnte nicht begreifen, wie ein Frauenzimmer, die er niemals gesehen hatte, ihn kennen konnte. Er bat sie um ihren Namen, und stutzte, als er ihn gehoͤrt hatte. Jnzwischen erzaͤhlte er ihr, wie ihn ein ungefaͤhrer Zufall an den Ort gefuͤhrt haͤtte, wo ihr Gatte verwundet worden war,und wo er ihm Huͤlfe zu leisten gesucht hatte. »Jch sahe ihn sterben, setzte der Fremde hinzu, und ob er mir gleich unbekannt war, so konnte ich mich doch nicht enthalten, geruͤhrt zu werden, da ich sahe, daß keine Hofnung uͤbrig war,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0021]
Winters nahe bey ihrem Hause eine Messe hoͤrte. Die Messe war fast vorbey, als ihre Augen auf einen Cavalier, der neben ihr einen Stuhl nahm, fielen, worauf sie sogleich ein lautes Geschrei erhub und in Ohnmacht sank. Man gab sich alle Muͤhe, ihr zu Huͤlfe zu kommen. Sie oͤffnete endlich die Augen, und der erste Gebrauch, den sie von ihrer Sprache machte, war, daß sie ihren Leuten befahl, den Herrn aufzusuchen, der die Ursach ihrer Ohnmacht gewesen war, und ihn zu beschwoͤren, daß er zu ihr kaͤme. Er war noch nicht aus der Kirche weg, und da er hoͤrte, daß diese Dame ihn zu sprechen verlange, folgte er ihr nach. Ach meine Mutter, rief die ungluͤckliche Witwe, als sie nach Hause kam, ich habe eben denjenigen erkannt, der die letzten Seufzer meines armen Mannes angehoͤrt hat! und sogleich beschwor sie den Officier, ihr von den Umstaͤnden einer so traurigen Begebenheit Nachricht zu geben. Der Officier konnte nicht begreifen, wie ein Frauenzimmer, die er niemals gesehen hatte, ihn kennen konnte. Er bat sie um ihren Namen, und stutzte, als er ihn gehoͤrt hatte. Jnzwischen erzaͤhlte er ihr, wie ihn ein ungefaͤhrer Zufall an den Ort gefuͤhrt haͤtte, wo ihr Gatte verwundet worden war,und wo er ihm Huͤlfe zu leisten gesucht hatte. »Jch sahe ihn sterben, setzte der Fremde hinzu, und ob er mir gleich unbekannt war, so konnte ich mich doch nicht enthalten, geruͤhrt zu werden, da ich sahe, daß keine Hofnung uͤbrig war,
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
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