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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

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tet, und alle Worte für die mir darreicht, die für mich bitten?

Ja! so viele zu wissen und zu kennen, die bereits, ehe sie mein Angesicht sahen, meinen Namen, den alten, der mit dem alten irdischen Menschen zu Grunde geht, und so wenig, als der das Reich Gottes erben kann und wird -- so viele, die meinen Namen in ihrem Gebet und ihren Danksagungen vor Gott nennten, und nun noch mehrere, die, nachdem mir Gott ihre Liebe zu hören und zu schauen gab, zu schauen das Siegel Gottes auf ihrer Stirn -- so viele, die für mich beten -- wenn das nicht stärkender Trost, das nicht Stimme Gottes ist. "Sey getreu bis in den Tod"! Das mich nicht hoch und höher hebt, als die hohe und weite Sichtbarkeit hinreicht, das nicht mir Beruf ist, seine Sache mit mehr Einfalt und Treue und Eifer und Herzlichkeit zu besorgen; so bin ich elender, als alle Menschen. -- Aber nein! gewiß glücklicher, als alle Menschen, daß Gott mich so trägt, auf diesen Flügeln seiner Barmherzigkeit mich aus dem Staube empor hebt, daß er mich gleichsam nöthigt -- nicht länger zurück zu sehen; sondern nur vorwärts, vorwärts!

Ja, Jhr alle, die dies lesen oder hören, mein Angesicht gesehen, oder nicht gesehen haben -- wenn ihr wüßtet, welch ein zertretener Wurm ich bin, wie Nichts ich bin, wie unendlich viel schwächer,


tet, und alle Worte fuͤr die mir darreicht, die fuͤr mich bitten?

Ja! so viele zu wissen und zu kennen, die bereits, ehe sie mein Angesicht sahen, meinen Namen, den alten, der mit dem alten irdischen Menschen zu Grunde geht, und so wenig, als der das Reich Gottes erben kann und wird — so viele, die meinen Namen in ihrem Gebet und ihren Danksagungen vor Gott nennten, und nun noch mehrere, die, nachdem mir Gott ihre Liebe zu hoͤren und zu schauen gab, zu schauen das Siegel Gottes auf ihrer Stirn — so viele, die fuͤr mich beten — wenn das nicht staͤrkender Trost, das nicht Stimme Gottes ist. »Sey getreu bis in den Tod«! Das mich nicht hoch und hoͤher hebt, als die hohe und weite Sichtbarkeit hinreicht, das nicht mir Beruf ist, seine Sache mit mehr Einfalt und Treue und Eifer und Herzlichkeit zu besorgen; so bin ich elender, als alle Menschen. — Aber nein! gewiß gluͤcklicher, als alle Menschen, daß Gott mich so traͤgt, auf diesen Fluͤgeln seiner Barmherzigkeit mich aus dem Staube empor hebt, daß er mich gleichsam noͤthigt — nicht laͤnger zuruͤck zu sehen; sondern nur vorwaͤrts, vorwaͤrts!

Ja, Jhr alle, die dies lesen oder hoͤren, mein Angesicht gesehen, oder nicht gesehen haben — wenn ihr wuͤßtet, welch ein zertretener Wurm ich bin, wie Nichts ich bin, wie unendlich viel schwaͤcher,

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[106/0106] tet, und alle Worte fuͤr die mir darreicht, die fuͤr mich bitten? Ja! so viele zu wissen und zu kennen, die bereits, ehe sie mein Angesicht sahen, meinen Namen, den alten, der mit dem alten irdischen Menschen zu Grunde geht, und so wenig, als der das Reich Gottes erben kann und wird — so viele, die meinen Namen in ihrem Gebet und ihren Danksagungen vor Gott nennten, und nun noch mehrere, die, nachdem mir Gott ihre Liebe zu hoͤren und zu schauen gab, zu schauen das Siegel Gottes auf ihrer Stirn — so viele, die fuͤr mich beten — wenn das nicht staͤrkender Trost, das nicht Stimme Gottes ist. »Sey getreu bis in den Tod«! Das mich nicht hoch und hoͤher hebt, als die hohe und weite Sichtbarkeit hinreicht, das nicht mir Beruf ist, seine Sache mit mehr Einfalt und Treue und Eifer und Herzlichkeit zu besorgen; so bin ich elender, als alle Menschen. — Aber nein! gewiß gluͤcklicher, als alle Menschen, daß Gott mich so traͤgt, auf diesen Fluͤgeln seiner Barmherzigkeit mich aus dem Staube empor hebt, daß er mich gleichsam noͤthigt — nicht laͤnger zuruͤck zu sehen; sondern nur vorwaͤrts, vorwaͤrts! Ja, Jhr alle, die dies lesen oder hoͤren, mein Angesicht gesehen, oder nicht gesehen haben — wenn ihr wuͤßtet, welch ein zertretener Wurm ich bin, wie Nichts ich bin, wie unendlich viel schwaͤcher,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/106>, abgerufen am 03.05.2024.