Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.
Alle diese besondern Modificationen unserer Seele sind nichts anders als Folgen unserer durch Dunkelheit und Finsterniß der Nacht lebhaft gewordenen Einbildungskraft. Diese Kraft unserer Seele würkt zwar im Wachen beständig fort, und es geht nichts in jener vor, woran sie nicht bald auf eine nähere, bald entferntere Art Antheil haben sollte; allein sie bekommt alsdann die Alleinherrschaft über unsern Geist, wenn sich unsere Sinne schließen. Nun bleibt diesem nichts mehr übrig, was ihn von aussen zerstreuen könnte, und er muß sich nun, wenn ohnehin seine Jdeen durch das Herannahen des Schlafs verdunkelt werden, unwillkürlich dem Spiel seiner Phantasie überlassen, die jetzt ohne Aufsicht des Verstandes, die im Wachen gesammelten Bilder unter einander wirft, und, noch ehe wir einschlafen, den Stof zu tausendterlei Träumen bereitet. Unser Gefühl im Wachen lehrt es uns ja überdem schon, daß eine Empfindung oder Vorstellung nicht in einem so hohen Grade lebhaft werden kann, so lange neben ihr eine Menge anderer heterogener Empfindungen entsteht, welches im Wachen offenbar geschieht. Unaufhörlich strömen uns neue Vorstellungen alsdann zu. So lange also ein solcher Wechsel, ein solches Zuströmen von immer neuen Jdeen und Empfindungen da ist, und unsere Seele
Alle diese besondern Modificationen unserer Seele sind nichts anders als Folgen unserer durch Dunkelheit und Finsterniß der Nacht lebhaft gewordenen Einbildungskraft. Diese Kraft unserer Seele wuͤrkt zwar im Wachen bestaͤndig fort, und es geht nichts in jener vor, woran sie nicht bald auf eine naͤhere, bald entferntere Art Antheil haben sollte; allein sie bekommt alsdann die Alleinherrschaft uͤber unsern Geist, wenn sich unsere Sinne schließen. Nun bleibt diesem nichts mehr uͤbrig, was ihn von aussen zerstreuen koͤnnte, und er muß sich nun, wenn ohnehin seine Jdeen durch das Herannahen des Schlafs verdunkelt werden, unwillkuͤrlich dem Spiel seiner Phantasie uͤberlassen, die jetzt ohne Aufsicht des Verstandes, die im Wachen gesammelten Bilder unter einander wirft, und, noch ehe wir einschlafen, den Stof zu tausendterlei Traͤumen bereitet. Unser Gefuͤhl im Wachen lehrt es uns ja uͤberdem schon, daß eine Empfindung oder Vorstellung nicht in einem so hohen Grade lebhaft werden kann, so lange neben ihr eine Menge anderer heterogener Empfindungen entsteht, welches im Wachen offenbar geschieht. Unaufhoͤrlich stroͤmen uns neue Vorstellungen alsdann zu. So lange also ein solcher Wechsel, ein solches Zustroͤmen von immer neuen Jdeen und Empfindungen da ist, und unsere Seele <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0094" n="94"/><lb/> Fortdauer ihrer Natur gefoltert, davon ich naͤchstens ein merkwuͤrdiges Beispiel mittheilen will.</p> <p>Alle diese besondern Modificationen unserer Seele sind nichts anders als <hi rendition="#b">Folgen unserer durch Dunkelheit und Finsterniß der Nacht lebhaft gewordenen Einbildungskraft.</hi> Diese Kraft unserer Seele wuͤrkt zwar im Wachen bestaͤndig fort, und es geht nichts in jener vor, woran sie nicht bald auf eine naͤhere, bald entferntere Art Antheil haben sollte; allein sie bekommt alsdann die Alleinherrschaft uͤber unsern Geist, wenn sich unsere Sinne schließen. Nun bleibt diesem nichts mehr uͤbrig, was ihn von aussen zerstreuen koͤnnte, und er muß sich nun, wenn ohnehin seine Jdeen durch das Herannahen des Schlafs verdunkelt werden, unwillkuͤrlich dem Spiel seiner Phantasie uͤberlassen, die jetzt ohne Aufsicht des Verstandes, die im Wachen gesammelten Bilder unter einander wirft, und, noch ehe wir einschlafen, den Stof zu tausendterlei Traͤumen bereitet.</p> <p>Unser Gefuͤhl im Wachen lehrt es uns ja uͤberdem schon, daß eine Empfindung oder Vorstellung nicht in einem so hohen Grade lebhaft werden kann, so lange neben ihr eine Menge anderer heterogener Empfindungen entsteht, welches im Wachen offenbar geschieht. Unaufhoͤrlich stroͤmen uns neue Vorstellungen alsdann zu. So lange also ein solcher Wechsel, ein solches Zustroͤmen von immer neuen Jdeen und Empfindungen da ist, und unsere Seele<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0094]
Fortdauer ihrer Natur gefoltert, davon ich naͤchstens ein merkwuͤrdiges Beispiel mittheilen will.
Alle diese besondern Modificationen unserer Seele sind nichts anders als Folgen unserer durch Dunkelheit und Finsterniß der Nacht lebhaft gewordenen Einbildungskraft. Diese Kraft unserer Seele wuͤrkt zwar im Wachen bestaͤndig fort, und es geht nichts in jener vor, woran sie nicht bald auf eine naͤhere, bald entferntere Art Antheil haben sollte; allein sie bekommt alsdann die Alleinherrschaft uͤber unsern Geist, wenn sich unsere Sinne schließen. Nun bleibt diesem nichts mehr uͤbrig, was ihn von aussen zerstreuen koͤnnte, und er muß sich nun, wenn ohnehin seine Jdeen durch das Herannahen des Schlafs verdunkelt werden, unwillkuͤrlich dem Spiel seiner Phantasie uͤberlassen, die jetzt ohne Aufsicht des Verstandes, die im Wachen gesammelten Bilder unter einander wirft, und, noch ehe wir einschlafen, den Stof zu tausendterlei Traͤumen bereitet.
Unser Gefuͤhl im Wachen lehrt es uns ja uͤberdem schon, daß eine Empfindung oder Vorstellung nicht in einem so hohen Grade lebhaft werden kann, so lange neben ihr eine Menge anderer heterogener Empfindungen entsteht, welches im Wachen offenbar geschieht. Unaufhoͤrlich stroͤmen uns neue Vorstellungen alsdann zu. So lange also ein solcher Wechsel, ein solches Zustroͤmen von immer neuen Jdeen und Empfindungen da ist, und unsere Seele
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/94>, abgerufen am 16.02.2025. |