Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787.Diese meinten, daß sie dem Eigensinne ihres Kindes einige Zeit lassen müßten, glaubten, es würde sich schon alles geben, und gaben von ihrer Seite dem Advocaten das förmliche Jawort, völlig entschlossen, es zu halten, und alle Beweggründe zu gebrauchen, ihre Tochter für ihn zu gewinnen. Die Beweggründe wurden auch angewandt; allein das Mädchen blieb bei ihrem Vorsatz,-- und nun hätte man billig nicht weiter in sie dringen sollen, weil Eltern kein despotisches Recht über die Herzen ihrer Kinder haben können, was auch dafür gesagt werden kann. Allein des ewigen Widersetzens müde, entschlossen sie sich endlich Gewalt zu brauchen, und das arme Mädchen zu zwingen. Die Art, wie es geschehen, weiß ich nicht; aber sie muß von der Art gewesen seyn, daß endlich das Mädchen vor Verzweiflung nicht mehr wußte, was sie machen sollte, und in der Verwirrung ihrer Empfindungen dem Advocaten gleichfalls das Jawort gab. Es wurde Verlobung gehalten, der junge Reiter erfuhr die erschreckliche Nachricht -- und ließ sich von Stund an nicht mehr in dem Pfarrhause sehen. Sein Entschluß war vermöge seines Eides gefaßt, -- er konnte ohne sein Mädchen nicht leben, sie war ihm, wie er glaubte, ungetreu geworden, und -- seine Pistolen wurden geladen an sein Bette gehängt, um bei erster Gelegenheit seinen mörderischen Vorsatz auszuführen. Diese meinten, daß sie dem Eigensinne ihres Kindes einige Zeit lassen muͤßten, glaubten, es wuͤrde sich schon alles geben, und gaben von ihrer Seite dem Advocaten das foͤrmliche Jawort, voͤllig entschlossen, es zu halten, und alle Beweggruͤnde zu gebrauchen, ihre Tochter fuͤr ihn zu gewinnen. Die Beweggruͤnde wurden auch angewandt; allein das Maͤdchen blieb bei ihrem Vorsatz,— und nun haͤtte man billig nicht weiter in sie dringen sollen, weil Eltern kein despotisches Recht uͤber die Herzen ihrer Kinder haben koͤnnen, was auch dafuͤr gesagt werden kann. Allein des ewigen Widersetzens muͤde, entschlossen sie sich endlich Gewalt zu brauchen, und das arme Maͤdchen zu zwingen. Die Art, wie es geschehen, weiß ich nicht; aber sie muß von der Art gewesen seyn, daß endlich das Maͤdchen vor Verzweiflung nicht mehr wußte, was sie machen sollte, und in der Verwirrung ihrer Empfindungen dem Advocaten gleichfalls das Jawort gab. Es wurde Verlobung gehalten, der junge Reiter erfuhr die erschreckliche Nachricht — und ließ sich von Stund an nicht mehr in dem Pfarrhause sehen. Sein Entschluß war vermoͤge seines Eides gefaßt, — er konnte ohne sein Maͤdchen nicht leben, sie war ihm, wie er glaubte, ungetreu geworden, und — seine Pistolen wurden geladen an sein Bette gehaͤngt, um bei erster Gelegenheit seinen moͤrderischen Vorsatz auszufuͤhren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0051" n="51"/><lb/> <p>Diese meinten, daß sie dem Eigensinne ihres Kindes einige Zeit lassen muͤßten, glaubten, es wuͤrde sich schon alles geben, und gaben von ihrer Seite dem Advocaten das foͤrmliche Jawort, voͤllig entschlossen, es zu halten, und alle Beweggruͤnde zu gebrauchen, ihre Tochter fuͤr ihn zu gewinnen. Die Beweggruͤnde wurden auch angewandt; allein das Maͤdchen blieb bei ihrem Vorsatz,— und nun haͤtte man billig nicht weiter in sie dringen sollen, weil Eltern kein despotisches Recht uͤber die Herzen ihrer Kinder haben koͤnnen, was auch dafuͤr gesagt werden kann.</p> <p>Allein des ewigen Widersetzens muͤde, entschlossen sie sich endlich Gewalt zu brauchen, und das arme Maͤdchen zu zwingen. Die Art, wie es geschehen, weiß ich nicht; aber sie muß von der Art gewesen seyn, daß endlich das Maͤdchen vor Verzweiflung nicht mehr wußte, was sie machen sollte, und in der Verwirrung ihrer Empfindungen dem Advocaten gleichfalls das Jawort gab. Es wurde Verlobung gehalten, der junge Reiter erfuhr die erschreckliche Nachricht — und ließ sich von Stund an nicht mehr in dem Pfarrhause sehen. Sein Entschluß war vermoͤge seines Eides gefaßt, — er konnte ohne sein Maͤdchen nicht leben, sie war ihm, wie er glaubte, ungetreu geworden, und — seine Pistolen wurden geladen an sein Bette gehaͤngt, um bei erster Gelegenheit seinen moͤrderischen Vorsatz auszufuͤhren.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [51/0051]
Diese meinten, daß sie dem Eigensinne ihres Kindes einige Zeit lassen muͤßten, glaubten, es wuͤrde sich schon alles geben, und gaben von ihrer Seite dem Advocaten das foͤrmliche Jawort, voͤllig entschlossen, es zu halten, und alle Beweggruͤnde zu gebrauchen, ihre Tochter fuͤr ihn zu gewinnen. Die Beweggruͤnde wurden auch angewandt; allein das Maͤdchen blieb bei ihrem Vorsatz,— und nun haͤtte man billig nicht weiter in sie dringen sollen, weil Eltern kein despotisches Recht uͤber die Herzen ihrer Kinder haben koͤnnen, was auch dafuͤr gesagt werden kann.
Allein des ewigen Widersetzens muͤde, entschlossen sie sich endlich Gewalt zu brauchen, und das arme Maͤdchen zu zwingen. Die Art, wie es geschehen, weiß ich nicht; aber sie muß von der Art gewesen seyn, daß endlich das Maͤdchen vor Verzweiflung nicht mehr wußte, was sie machen sollte, und in der Verwirrung ihrer Empfindungen dem Advocaten gleichfalls das Jawort gab. Es wurde Verlobung gehalten, der junge Reiter erfuhr die erschreckliche Nachricht — und ließ sich von Stund an nicht mehr in dem Pfarrhause sehen. Sein Entschluß war vermoͤge seines Eides gefaßt, — er konnte ohne sein Maͤdchen nicht leben, sie war ihm, wie er glaubte, ungetreu geworden, und — seine Pistolen wurden geladen an sein Bette gehaͤngt, um bei erster Gelegenheit seinen moͤrderischen Vorsatz auszufuͤhren.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 2. Berlin, 1787, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0502_1787/51>, abgerufen am 22.07.2024. |