Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.
Neid ist gemeiniglich, oder ich will lieber sagen, allemahl der Sohn einer heftigen unregelmäßigen Selbstliebe; es giebt und kann keinen Menschen geben, der von jener Leidenschaft ganz frei wäre, weil jeder Mensch einen Trieb zum Mehrhaben besitzt, und doch kann ich betheuren, daß ich keinen Menschen beneide, welcher auf eine andere Art, als durch Gelehrsamkeit mehr als ich ist. Reichthum, glänzende Bequemlichkeit, sinnlicher Genuß, äußere Pracht, hohe Ehrenstellen, schöne Weiber, - alle diese Dinge haben meinen Neid nie erregt; aber der Gedanke, daß Andere viel mehr als ich wissen, daß ich ihnen nicht nachkommen werde, daß mein Name unter der Menge der Jhrigen vielleicht ewig vergessen wird, liegt oft wie ein Gebürg auf meiner Seele, und verscheucht gleich einem boshaften Dämon die süßesten Freuden meines Lebens. Von jener Leidenschaft des gelehrten Neides angespornt, mache ich mir oft ein heimliches Vergnügen, die Unvollkommenheiten und Schwächen in den angebeteten deutschen Dichtern und Pro- *) Doch wahrscheinlich nur in finstern hypochondrischen Launen?
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Neid ist gemeiniglich, oder ich will lieber sagen, allemahl der Sohn einer heftigen unregelmaͤßigen Selbstliebe; es giebt und kann keinen Menschen geben, der von jener Leidenschaft ganz frei waͤre, weil jeder Mensch einen Trieb zum Mehrhaben besitzt, und doch kann ich betheuren, daß ich keinen Menschen beneide, welcher auf eine andere Art, als durch Gelehrsamkeit mehr als ich ist. Reichthum, glaͤnzende Bequemlichkeit, sinnlicher Genuß, aͤußere Pracht, hohe Ehrenstellen, schoͤne Weiber, – alle diese Dinge haben meinen Neid nie erregt; aber der Gedanke, daß Andere viel mehr als ich wissen, daß ich ihnen nicht nachkommen werde, daß mein Name unter der Menge der Jhrigen vielleicht ewig vergessen wird, liegt oft wie ein Gebuͤrg auf meiner Seele, und verscheucht gleich einem boshaften Daͤmon die suͤßesten Freuden meines Lebens. Von jener Leidenschaft des gelehrten Neides angespornt, mache ich mir oft ein heimliches Vergnuͤgen, die Unvollkommenheiten und Schwaͤchen in den angebeteten deutschen Dichtern und Pro- *) Doch wahrscheinlich nur in finstern hypochondrischen Launen?
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Helden nicht existiren moͤge, ich habe manchem hochgeruͤhmten Mann schon den Tod gewuͤnscht, und habe die Nachrichten von seinen Krankheiten mit einer suͤßen heimlichen Freude angehoͤrt*) .
Neid ist gemeiniglich, oder ich will lieber sagen, allemahl der Sohn einer heftigen unregelmaͤßigen Selbstliebe; es giebt und kann keinen Menschen geben, der von jener Leidenschaft ganz frei waͤre, weil jeder Mensch einen Trieb zum Mehrhaben besitzt, und doch kann ich betheuren, daß ich keinen Menschen beneide, welcher auf eine andere Art, als durch Gelehrsamkeit mehr als ich ist. Reichthum, glaͤnzende Bequemlichkeit, sinnlicher Genuß, aͤußere Pracht, hohe Ehrenstellen, schoͤne Weiber, – alle diese Dinge haben meinen Neid nie erregt; aber der Gedanke, daß Andere viel mehr als ich wissen, daß ich ihnen nicht nachkommen werde, daß mein Name unter der Menge der Jhrigen vielleicht ewig vergessen wird, liegt oft wie ein Gebuͤrg auf meiner Seele, und verscheucht gleich einem boshaften Daͤmon die suͤßesten Freuden meines Lebens.
Von jener Leidenschaft des gelehrten Neides angespornt, mache ich mir oft ein heimliches Vergnuͤgen, die Unvollkommenheiten und Schwaͤchen in den angebeteten deutschen Dichtern und Pro-
*) Doch wahrscheinlich nur in finstern hypochondrischen Launen?
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/81>, abgerufen am 16.02.2025. |