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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787.

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Woche einen Tag vom Morgen bis an Abend zu fasten. (Welche alberne Grillen sich doch nicht die menschliche Einbildungskraft erfindet! und doch war grade diese Grille eins der größten Beruhigungsmittel des Verfassers.) "Der unvermuthete und erwünschte Effekt dieses Gelübdes, sagt er, ist eines von den curieusesten Avantüren meines Lebens, worüber ich jederzeit erstaunt bin, denn alsdann fing dasjenige an durch Gottes Gnade möglich zu werden, welches ich schier für unmöglich gehalten. Die Sünden ließen nach, und blieben aussen." (Auf eine ganz natürliche Weise, weil der lebhafte Gedanke an das Gelübde, welches wöchentlich wiederhohlt werden mußte, die Gedanken an seine Sünden schwächte, und weil durch einen mäßigen Gebrauch der Speisen seine Seele, wie er selbst gesteht, immer heiterer wurde.) Aber nicht lange drauf fing die Milzsucht in dem Verfasser wieder mit aller Stärke zu wüthen an. "Nun fährt der arme Mann fort, da die sündlichen Werke aussen blieben, und dem Verstande je mehr und mehr die Augen aufgingen, mein ehemaliges Leben recht einzusehen; so fing die Sünde mir erst an recht häßlich vorzukommen, und in ihrer schädlichen Gestalt zu erscheinen. Meine Traurigkeit wurde noch größer, als ich Lipsii Buch de constantia in die Hände bekam, und solches durchlas. Der melancholische Stilus, in welchem das Tractätlein geschrieben, und insonderheit das Kapitel, in welchem von einem bösen Gewissen ge-


Woche einen Tag vom Morgen bis an Abend zu fasten. (Welche alberne Grillen sich doch nicht die menschliche Einbildungskraft erfindet! und doch war grade diese Grille eins der groͤßten Beruhigungsmittel des Verfassers.) »Der unvermuthete und erwuͤnschte Effekt dieses Geluͤbdes, sagt er, ist eines von den curieusesten Avantuͤren meines Lebens, woruͤber ich jederzeit erstaunt bin, denn alsdann fing dasjenige an durch Gottes Gnade moͤglich zu werden, welches ich schier fuͤr unmoͤglich gehalten. Die Suͤnden ließen nach, und blieben aussen.« (Auf eine ganz natuͤrliche Weise, weil der lebhafte Gedanke an das Geluͤbde, welches woͤchentlich wiederhohlt werden mußte, die Gedanken an seine Suͤnden schwaͤchte, und weil durch einen maͤßigen Gebrauch der Speisen seine Seele, wie er selbst gesteht, immer heiterer wurde.) Aber nicht lange drauf fing die Milzsucht in dem Verfasser wieder mit aller Staͤrke zu wuͤthen an. »Nun faͤhrt der arme Mann fort, da die suͤndlichen Werke aussen blieben, und dem Verstande je mehr und mehr die Augen aufgingen, mein ehemaliges Leben recht einzusehen; so fing die Suͤnde mir erst an recht haͤßlich vorzukommen, und in ihrer schaͤdlichen Gestalt zu erscheinen. Meine Traurigkeit wurde noch groͤßer, als ich Lipsii Buch de constantia in die Haͤnde bekam, und solches durchlas. Der melancholische Stilus, in welchem das Tractaͤtlein geschrieben, und insonderheit das Kapitel, in welchem von einem boͤsen Gewissen ge-

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[112/0114] Woche einen Tag vom Morgen bis an Abend zu fasten. (Welche alberne Grillen sich doch nicht die menschliche Einbildungskraft erfindet! und doch war grade diese Grille eins der groͤßten Beruhigungsmittel des Verfassers.) »Der unvermuthete und erwuͤnschte Effekt dieses Geluͤbdes, sagt er, ist eines von den curieusesten Avantuͤren meines Lebens, woruͤber ich jederzeit erstaunt bin, denn alsdann fing dasjenige an durch Gottes Gnade moͤglich zu werden, welches ich schier fuͤr unmoͤglich gehalten. Die Suͤnden ließen nach, und blieben aussen.« (Auf eine ganz natuͤrliche Weise, weil der lebhafte Gedanke an das Geluͤbde, welches woͤchentlich wiederhohlt werden mußte, die Gedanken an seine Suͤnden schwaͤchte, und weil durch einen maͤßigen Gebrauch der Speisen seine Seele, wie er selbst gesteht, immer heiterer wurde.) Aber nicht lange drauf fing die Milzsucht in dem Verfasser wieder mit aller Staͤrke zu wuͤthen an. »Nun faͤhrt der arme Mann fort, da die suͤndlichen Werke aussen blieben, und dem Verstande je mehr und mehr die Augen aufgingen, mein ehemaliges Leben recht einzusehen; so fing die Suͤnde mir erst an recht haͤßlich vorzukommen, und in ihrer schaͤdlichen Gestalt zu erscheinen. Meine Traurigkeit wurde noch groͤßer, als ich Lipsii Buch de constantia in die Haͤnde bekam, und solches durchlas. Der melancholische Stilus, in welchem das Tractaͤtlein geschrieben, und insonderheit das Kapitel, in welchem von einem boͤsen Gewissen ge-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 1. Berlin, 1787, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0501_1787/114>, abgerufen am 26.11.2024.