Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.
Dies Gefühl des Unrechtleidens steht in dem sonderbar auffallendsten Kontrast mit dem, eines widrigen Schicksals, oder, wie man's nennt, eines Unglücks; denn wahrhaft, kein Vorwurf kann mir gleichgültiger, meinen traurig tiefsinnigen Besorgnissen minder interessant seyn, als eine Versetzung in ein übleres Verhältniß; so lange noch der eiserne Zepter, der verfolgende giftige Dolch nur Verschlimmerung, Vergiftung äußerer glänzenden Verhältnisse zum Ziele haben, noch nicht die Seele angreifen, noch nicht Verachtung, Verunehrung, Beleidigung mit sich führen, dem Herzen noch nicht das Unschuldsgefühl und die Ueberzeugung der Unverdientheit, seine Freunde, rauben. Soll ich nun sagen, ob das bei mir so prädominirende Unrechtsgefühl wirklich etwas Gutes oder nicht Gutes für den Menschen sei: Jch glaube doch mit gegründeterem Rechte im allgemeinen sagen zu dürfen, daß es kein Unglück für einen Menschen sei. -- Ein Herz, das gefühllos und gleichgültig gegen jede Sottise ist, die ihm gemacht wird, ist ein Abscheu. Empfänglich für jeden Reitz des Guten und Bösen, der Billigkeit und Unbilligkeit, soll
Dies Gefuͤhl des Unrechtleidens steht in dem sonderbar auffallendsten Kontrast mit dem, eines widrigen Schicksals, oder, wie man's nennt, eines Ungluͤcks; denn wahrhaft, kein Vorwurf kann mir gleichguͤltiger, meinen traurig tiefsinnigen Besorgnissen minder interessant seyn, als eine Versetzung in ein uͤbleres Verhaͤltniß; so lange noch der eiserne Zepter, der verfolgende giftige Dolch nur Verschlimmerung, Vergiftung aͤußerer glaͤnzenden Verhaͤltnisse zum Ziele haben, noch nicht die Seele angreifen, noch nicht Verachtung, Verunehrung, Beleidigung mit sich fuͤhren, dem Herzen noch nicht das Unschuldsgefuͤhl und die Ueberzeugung der Unverdientheit, seine Freunde, rauben. Soll ich nun sagen, ob das bei mir so praͤdominirende Unrechtsgefuͤhl wirklich etwas Gutes oder nicht Gutes fuͤr den Menschen sei: Jch glaube doch mit gegruͤndeterem Rechte im allgemeinen sagen zu duͤrfen, daß es kein Ungluͤck fuͤr einen Menschen sei. — Ein Herz, das gefuͤhllos und gleichguͤltig gegen jede Sottise ist, die ihm gemacht wird, ist ein Abscheu. Empfaͤnglich fuͤr jeden Reitz des Guten und Boͤsen, der Billigkeit und Unbilligkeit, soll <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0094" n="94"/><lb/> mein Gesicht des muntern laͤchelnden Wesens freuen duͤrfen, ohne zuvor sich auch der Befriedigung fuͤr das gereitzte Gefuͤhl mit freuen zu koͤnnen; die zuweilen allein nur in des andern Bewußtseyn, mich beleidigt zu haben, bestehen kann; aber oft auch in der Versicherung vorkommenden Beleidigungen. </p> <p>Dies Gefuͤhl des Unrechtleidens steht in dem sonderbar auffallendsten Kontrast mit dem, eines widrigen Schicksals, oder, wie man's nennt, eines Ungluͤcks; <choice><corr>denn</corr><sic>dann</sic></choice> wahrhaft, kein Vorwurf kann mir gleichguͤltiger, meinen traurig tiefsinnigen Besorgnissen minder interessant seyn, als eine Versetzung in ein uͤbleres Verhaͤltniß; so lange noch der eiserne Zepter, der verfolgende giftige Dolch nur Verschlimmerung, Vergiftung aͤußerer glaͤnzenden Verhaͤltnisse zum Ziele haben, noch nicht die Seele angreifen, noch nicht Verachtung, Verunehrung, Beleidigung mit sich fuͤhren, dem Herzen noch nicht das Unschuldsgefuͤhl und die Ueberzeugung der Unverdientheit, seine Freunde, rauben. </p> <p>Soll ich nun sagen, ob das bei mir so praͤdominirende Unrechtsgefuͤhl wirklich etwas Gutes oder nicht Gutes fuͤr den Menschen sei: Jch glaube doch mit gegruͤndeterem Rechte im allgemeinen sagen zu duͤrfen, daß es kein Ungluͤck fuͤr einen Menschen sei. — Ein Herz, das gefuͤhllos und gleichguͤltig gegen jede Sottise ist, die ihm gemacht wird, ist ein Abscheu. Empfaͤnglich fuͤr jeden Reitz des Guten und Boͤsen, der Billigkeit und Unbilligkeit, soll<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0094]
mein Gesicht des muntern laͤchelnden Wesens freuen duͤrfen, ohne zuvor sich auch der Befriedigung fuͤr das gereitzte Gefuͤhl mit freuen zu koͤnnen; die zuweilen allein nur in des andern Bewußtseyn, mich beleidigt zu haben, bestehen kann; aber oft auch in der Versicherung vorkommenden Beleidigungen.
Dies Gefuͤhl des Unrechtleidens steht in dem sonderbar auffallendsten Kontrast mit dem, eines widrigen Schicksals, oder, wie man's nennt, eines Ungluͤcks; denn wahrhaft, kein Vorwurf kann mir gleichguͤltiger, meinen traurig tiefsinnigen Besorgnissen minder interessant seyn, als eine Versetzung in ein uͤbleres Verhaͤltniß; so lange noch der eiserne Zepter, der verfolgende giftige Dolch nur Verschlimmerung, Vergiftung aͤußerer glaͤnzenden Verhaͤltnisse zum Ziele haben, noch nicht die Seele angreifen, noch nicht Verachtung, Verunehrung, Beleidigung mit sich fuͤhren, dem Herzen noch nicht das Unschuldsgefuͤhl und die Ueberzeugung der Unverdientheit, seine Freunde, rauben.
Soll ich nun sagen, ob das bei mir so praͤdominirende Unrechtsgefuͤhl wirklich etwas Gutes oder nicht Gutes fuͤr den Menschen sei: Jch glaube doch mit gegruͤndeterem Rechte im allgemeinen sagen zu duͤrfen, daß es kein Ungluͤck fuͤr einen Menschen sei. — Ein Herz, das gefuͤhllos und gleichguͤltig gegen jede Sottise ist, die ihm gemacht wird, ist ein Abscheu. Empfaͤnglich fuͤr jeden Reitz des Guten und Boͤsen, der Billigkeit und Unbilligkeit, soll
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/94>, abgerufen am 20.07.2024. |