Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.
So habe ich meiner Phantasie auch zuweilen das Spiel verstattet, in die frühesten Jahre der Kindheit unvermerkt bis dahin zurückzuschauen, wo es einem deucht, als ob man nahe dabei wäre, einen undurchdringlichen Vorhang aufzuziehen, der einem vor den Augen hängt, wovon man aber immer, ohne zu wissen wie, unvermerkt wieder abkömmt. -- Nützlich aber kann dieser Gegenstand der Betrachtung nur dadurch werden, wenn wir untersuchen, was für einen Einfluß die frühesten Erinnerungen aus den Jahren der Kindheit auf unser gegenwärtiges wirkliches Leben haben? in wie fern sie die Grundlage aller unsrer folgenden Jdeen ausmachen? und in wie fern sie sich immer unmerklich unter dieselben mischen, und ihnen eine Richtung geben, die sie sonst nicht würden genommen haben? Jn einer Schrift, die ich unter dem Titel Anton Reiser, ein psychologischer Roman, herausgegeben, und wovon ich in diesem Magazin einige Fragmente mitgetheilt habe, sind sehr viele hierin einschlagende Beobachtungen enthalten: die Erinnerungen aus Anton Reisers frühesten Kinder-
So habe ich meiner Phantasie auch zuweilen das Spiel verstattet, in die fruͤhesten Jahre der Kindheit unvermerkt bis dahin zuruͤckzuschauen, wo es einem deucht, als ob man nahe dabei waͤre, einen undurchdringlichen Vorhang aufzuziehen, der einem vor den Augen haͤngt, wovon man aber immer, ohne zu wissen wie, unvermerkt wieder abkoͤmmt. — Nuͤtzlich aber kann dieser Gegenstand der Betrachtung nur dadurch werden, wenn wir untersuchen, was fuͤr einen Einfluß die fruͤhesten Erinnerungen aus den Jahren der Kindheit auf unser gegenwaͤrtiges wirkliches Leben haben? in wie fern sie die Grundlage aller unsrer folgenden Jdeen ausmachen? und in wie fern sie sich immer unmerklich unter dieselben mischen, und ihnen eine Richtung geben, die sie sonst nicht wuͤrden genommen haben? Jn einer Schrift, die ich unter dem Titel Anton Reiser, ein psychologischer Roman, herausgegeben, und wovon ich in diesem Magazin einige Fragmente mitgetheilt habe, sind sehr viele hierin einschlagende Beobachtungen enthalten: die Erinnerungen aus Anton Reisers fruͤhesten Kinder- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0004" n="4"/><lb/> verlieren, sobald dieß Verlieren ein bloßes <hi rendition="#b">Spiel</hi> bleibt, und wir immer wieder zur gehoͤrigen Zeit auf den <hi rendition="#b">gegenwaͤrtigen Lebensfleck</hi> zuruͤckkehren, von welchem unsre <hi rendition="#b">gewisseste</hi> Gluͤckseligkeit abhaͤngt, und wo wir sie gleichsam <hi rendition="#b">aus der ersten Hand</hi> erhalten.</p> <p>So habe ich meiner Phantasie auch zuweilen das Spiel verstattet, in die fruͤhesten Jahre der Kindheit unvermerkt bis dahin zuruͤckzuschauen, wo es einem deucht, <hi rendition="#b">als ob man nahe dabei waͤre, einen undurchdringlichen Vorhang aufzuziehen, der einem vor den Augen haͤngt, wovon man aber immer, ohne zu wissen wie, unvermerkt wieder abkoͤmmt. — Nuͤtzlich</hi> aber kann dieser Gegenstand der Betrachtung nur dadurch werden, wenn wir untersuchen, <hi rendition="#b"><choice><corr>was fuͤr einen Einfluß</corr><sic>was</sic></choice> die fruͤhesten Erinnerungen aus den Jahren der Kindheit auf unser gegenwaͤrtiges wirkliches Leben haben? in wie fern sie die Grundlage aller <choice><corr>unsrer</corr><sic>unsre</sic></choice> folgenden Jdeen ausmachen? und in wie fern sie sich immer unmerklich unter dieselben mischen, und ihnen eine Richtung geben, die sie sonst nicht wuͤrden genommen haben?</hi></p> <p>Jn einer Schrift, die ich unter dem Titel <hi rendition="#b">Anton Reiser, ein psychologischer Roman,</hi> herausgegeben, und wovon ich in diesem Magazin einige Fragmente mitgetheilt habe, sind sehr viele hierin einschlagende Beobachtungen enthalten: die Erinnerungen aus Anton Reisers fruͤhesten Kinder-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0004]
verlieren, sobald dieß Verlieren ein bloßes Spiel bleibt, und wir immer wieder zur gehoͤrigen Zeit auf den gegenwaͤrtigen Lebensfleck zuruͤckkehren, von welchem unsre gewisseste Gluͤckseligkeit abhaͤngt, und wo wir sie gleichsam aus der ersten Hand erhalten.
So habe ich meiner Phantasie auch zuweilen das Spiel verstattet, in die fruͤhesten Jahre der Kindheit unvermerkt bis dahin zuruͤckzuschauen, wo es einem deucht, als ob man nahe dabei waͤre, einen undurchdringlichen Vorhang aufzuziehen, der einem vor den Augen haͤngt, wovon man aber immer, ohne zu wissen wie, unvermerkt wieder abkoͤmmt. — Nuͤtzlich aber kann dieser Gegenstand der Betrachtung nur dadurch werden, wenn wir untersuchen, was fuͤr einen Einfluß die fruͤhesten Erinnerungen aus den Jahren der Kindheit auf unser gegenwaͤrtiges wirkliches Leben haben? in wie fern sie die Grundlage aller unsrer folgenden Jdeen ausmachen? und in wie fern sie sich immer unmerklich unter dieselben mischen, und ihnen eine Richtung geben, die sie sonst nicht wuͤrden genommen haben?
Jn einer Schrift, die ich unter dem Titel Anton Reiser, ein psychologischer Roman, herausgegeben, und wovon ich in diesem Magazin einige Fragmente mitgetheilt habe, sind sehr viele hierin einschlagende Beobachtungen enthalten: die Erinnerungen aus Anton Reisers fruͤhesten Kinder-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/4>, abgerufen am 16.07.2024. |