Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0072" n="72"/><lb/> gem Dankgefuͤhl wollte sie reden, sie konnte nicht. Meine Mutter, geruͤhrt durch diese pantomimische aber kraftvolle und betaͤubende Scene, gab ihr noch etwas Geld, verließ sie, um die theilnehmende unwiderstehlich hervorgelockte Thraͤne zu verbergen, und dann sie durch ein himmliches Gefilde von wonniglichem, goͤttlich durchstroͤmenden Vergnuͤgen hinfließen zu lassen. Fuͤr mich waren dieses Empfindungen, die die ersten ihrer Art waren und mich nun ausser der wirklichen Lebenssphaͤre versetzten; erstaunend sah ich dem ganzen Vorfall zu; ich fuͤhlte mit Elend und Freude; ich weinte mit, und erkannte die suͤssen Fruͤchte des Wohlthuns, die Wuͤrde des Menschen, und das taͤuschende vorgefaßte Vorurtheil gegen einige Menschensorten schon itzt in meiner ersten Kindheit. Unvergeßlich, in seiner Freudenquelle unversiegbar, bleibt er mir immer dieser herzliche Eindruck mit der lebhaftesten Vorstellung aller erwaͤhnten Umstaͤnde, so wie er mir's immer vom ersten Moment seiner Geburt bis itzt unverstoͤrbar geblieben ist. Mein Lieber! wie sehr wuͤnschte ich, daß auch Du das alles mit angesehen haͤttest! Du wuͤrdest auch mit das fuͤhlen muͤssen, was ich nun so ganz in die Fuͤlle selbstgenuͤgsamer Seeligkeit versunken fuͤhle, und koͤnntest vielleicht Dir ein Maaß denken, das die Graͤnzen meines Gefuͤhles annaͤhernd zu bestimmen vermag. </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [72/0072]
gem Dankgefuͤhl wollte sie reden, sie konnte nicht. Meine Mutter, geruͤhrt durch diese pantomimische aber kraftvolle und betaͤubende Scene, gab ihr noch etwas Geld, verließ sie, um die theilnehmende unwiderstehlich hervorgelockte Thraͤne zu verbergen, und dann sie durch ein himmliches Gefilde von wonniglichem, goͤttlich durchstroͤmenden Vergnuͤgen hinfließen zu lassen. Fuͤr mich waren dieses Empfindungen, die die ersten ihrer Art waren und mich nun ausser der wirklichen Lebenssphaͤre versetzten; erstaunend sah ich dem ganzen Vorfall zu; ich fuͤhlte mit Elend und Freude; ich weinte mit, und erkannte die suͤssen Fruͤchte des Wohlthuns, die Wuͤrde des Menschen, und das taͤuschende vorgefaßte Vorurtheil gegen einige Menschensorten schon itzt in meiner ersten Kindheit. Unvergeßlich, in seiner Freudenquelle unversiegbar, bleibt er mir immer dieser herzliche Eindruck mit der lebhaftesten Vorstellung aller erwaͤhnten Umstaͤnde, so wie er mir's immer vom ersten Moment seiner Geburt bis itzt unverstoͤrbar geblieben ist. Mein Lieber! wie sehr wuͤnschte ich, daß auch Du das alles mit angesehen haͤttest! Du wuͤrdest auch mit das fuͤhlen muͤssen, was ich nun so ganz in die Fuͤlle selbstgenuͤgsamer Seeligkeit versunken fuͤhle, und koͤnntest vielleicht Dir ein Maaß denken, das die Graͤnzen meines Gefuͤhles annaͤhernd zu bestimmen vermag.
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