Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.3. Auszug aus einem Briefe. Stralsund den 4ten Januar 1786. Die Frau des hiesigen Stadtmusikus Kahlow, (welcher, beiläufig gesagt, eine nicht gewöhnliche Fertigkeit im Violinspielen besitzt, die er noch zuletzt in der Schwedtschen Kapelle vervollkommt hat, so, daß unser Publikum, welches so manchen nach der Stockholmischen Kapelle durchreisenden großen Spieler gehört hat, ihm den Rang im feinen studirten Vortrage und der Genauigkeit im Einzelnen nach den berühmten Petersburger Virtuosen ertheilt) befand sich, da ihr Mann Amtshalber außer Haus war, und sie ihre Niederkunft hielt, in der Nacht im einsamen Zimmer noch bettlägerig; im Nebenzimmer, oder wenigstens nicht in demselben, worin die Wöchnerin lag, befand sich die Wartsfrau. Frau Kahlow ist noch völlig munter, und sieht in dem Zimmer, ohne irgend Gedanken -- wenigstens ihr bewußte -- an einen Gegenstand der Art, als sich ihr darstellt, zu haben; wie dies auch aus ihrem Benehmen erhellet. Eine menschliche Figur nemlich, stellt sich in menschlicher Grösse, als Türk oder Orientaler gekleidet, neben die Stubenthüre. Die gute Frau, die überhaupt an Spückereien gar nicht glaubt, lächelt über die Figur, weil sie in der Meinung steht, ihr Mann habe sich von seinen Geschäften entfernt, 3. Auszug aus einem Briefe. Stralsund den 4ten Januar 1786. Die Frau des hiesigen Stadtmusikus Kahlow, (welcher, beilaͤufig gesagt, eine nicht gewoͤhnliche Fertigkeit im Violinspielen besitzt, die er noch zuletzt in der Schwedtschen Kapelle vervollkommt hat, so, daß unser Publikum, welches so manchen nach der Stockholmischen Kapelle durchreisenden großen Spieler gehoͤrt hat, ihm den Rang im feinen studirten Vortrage und der Genauigkeit im Einzelnen nach den beruͤhmten Petersburger Virtuosen ertheilt) befand sich, da ihr Mann Amtshalber außer Haus war, und sie ihre Niederkunft hielt, in der Nacht im einsamen Zimmer noch bettlaͤgerig; im Nebenzimmer, oder wenigstens nicht in demselben, worin die Woͤchnerin lag, befand sich die Wartsfrau. Frau Kahlow ist noch voͤllig munter, und sieht in dem Zimmer, ohne irgend Gedanken — wenigstens ihr bewußte — an einen Gegenstand der Art, als sich ihr darstellt, zu haben; wie dies auch aus ihrem Benehmen erhellet. Eine menschliche Figur nemlich, stellt sich in menschlicher Groͤsse, als Tuͤrk oder Orientaler gekleidet, neben die Stubenthuͤre. Die gute Frau, die uͤberhaupt an Spuͤckereien gar nicht glaubt, laͤchelt uͤber die Figur, weil sie in der Meinung steht, ihr Mann habe sich von seinen Geschaͤften entfernt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0038" n="38"/><lb/><lb/> </div> <div n="3"> <head>3. Auszug aus einem Briefe.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref93"><note type="editorial"/>Anonym</persName> </bibl> </note> <opener> <dateline> <hi rendition="#right">Stralsund den 4ten Januar 1786. </hi> </dateline> </opener> <p>Die Frau des hiesigen Stadtmusikus Kahlow, (welcher, beilaͤufig gesagt, eine nicht gewoͤhnliche Fertigkeit im Violinspielen besitzt, die er noch zuletzt in der Schwedtschen Kapelle vervollkommt hat, so, daß unser Publikum, welches so manchen nach der Stockholmischen Kapelle durchreisenden großen Spieler gehoͤrt hat, ihm den Rang im feinen studirten Vortrage und der Genauigkeit im Einzelnen nach den beruͤhmten Petersburger Virtuosen ertheilt) befand sich, da ihr Mann Amtshalber außer Haus war, und sie ihre Niederkunft hielt, in der Nacht im einsamen Zimmer noch bettlaͤgerig; im Nebenzimmer, oder wenigstens nicht in demselben, worin die Woͤchnerin lag, befand sich die Wartsfrau. Frau Kahlow ist noch voͤllig munter, und sieht in dem Zimmer, ohne irgend Gedanken — wenigstens ihr bewußte — an einen Gegenstand der Art, als sich ihr darstellt, zu haben; wie dies auch aus ihrem Benehmen erhellet. </p> <p>Eine menschliche Figur nemlich, stellt sich in menschlicher Groͤsse, als Tuͤrk oder Orientaler gekleidet, neben die Stubenthuͤre. Die gute Frau, die uͤberhaupt an Spuͤckereien gar nicht glaubt, laͤchelt uͤber die Figur, weil sie in der Meinung steht, ihr Mann habe sich von seinen Geschaͤften entfernt,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0038]
3. Auszug aus einem Briefe.
Stralsund den 4ten Januar 1786. Die Frau des hiesigen Stadtmusikus Kahlow, (welcher, beilaͤufig gesagt, eine nicht gewoͤhnliche Fertigkeit im Violinspielen besitzt, die er noch zuletzt in der Schwedtschen Kapelle vervollkommt hat, so, daß unser Publikum, welches so manchen nach der Stockholmischen Kapelle durchreisenden großen Spieler gehoͤrt hat, ihm den Rang im feinen studirten Vortrage und der Genauigkeit im Einzelnen nach den beruͤhmten Petersburger Virtuosen ertheilt) befand sich, da ihr Mann Amtshalber außer Haus war, und sie ihre Niederkunft hielt, in der Nacht im einsamen Zimmer noch bettlaͤgerig; im Nebenzimmer, oder wenigstens nicht in demselben, worin die Woͤchnerin lag, befand sich die Wartsfrau. Frau Kahlow ist noch voͤllig munter, und sieht in dem Zimmer, ohne irgend Gedanken — wenigstens ihr bewußte — an einen Gegenstand der Art, als sich ihr darstellt, zu haben; wie dies auch aus ihrem Benehmen erhellet.
Eine menschliche Figur nemlich, stellt sich in menschlicher Groͤsse, als Tuͤrk oder Orientaler gekleidet, neben die Stubenthuͤre. Die gute Frau, die uͤberhaupt an Spuͤckereien gar nicht glaubt, laͤchelt uͤber die Figur, weil sie in der Meinung steht, ihr Mann habe sich von seinen Geschaͤften entfernt,
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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