Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Einige Jahre drauf begegnete es mir mehrere Jahre hintereinander fast alle Nachte, daß ich, nachdem ich mich schlafen gelegt hatte, ganz sonderbare Auftritte hatte.

Dieß waren die, von denen ich mich in keiner menschlichen Sprache wegen ihrer Ungewöhnlichkeit, wegen der blos dunkeln Vorstellungen, in denen sie mir vorschweben, und wegen dem damaligen Mangel an Beobachtungsgeist über mich selbst, nicht auslassen kann. Es ging alles mit mir, wie in der Scheibe herum, (es war aber kein Schwindel) dazu gesellten sich schöpferische Vorstellungen von unendlichen, Millionenzeiten und Räumen, die ich zu durchwandern hatte, der Gedanke der Unmöglichkeit je diese Reise, dieses Unermeßliche, das ich immer wie in einem unaufhörlichen Kreise vor mir sah, zu vollenden, (und dies alles im wachenden Zustand) verursachte in mir ausserordentliche Bänglichkeit, in der ich mich oft nicht enthalten konnte, mit einem Satz aus dem Bette und ängstlichem Zurückwandern in die Stube, wo mein Vater gewöhnlich noch am Schreibtisch saß, jenen Schrecken zu entgehen.

Wenn ich mich erhohlt hatte, wuste ich selbst nicht, wie mir zu Muthe war, ich sah, daß nichts außer mir war, was mich ängstigte, und doch ging ich mit Grauen wieder zu Bette. Wenn ich mich da bei völligem Bewustseyn meiner selbst und der Nichtigkeit meiner Angst zu erhalten suchte, hatte


Einige Jahre drauf begegnete es mir mehrere Jahre hintereinander fast alle Nachte, daß ich, nachdem ich mich schlafen gelegt hatte, ganz sonderbare Auftritte hatte.

Dieß waren die, von denen ich mich in keiner menschlichen Sprache wegen ihrer Ungewoͤhnlichkeit, wegen der blos dunkeln Vorstellungen, in denen sie mir vorschweben, und wegen dem damaligen Mangel an Beobachtungsgeist uͤber mich selbst, nicht auslassen kann. Es ging alles mit mir, wie in der Scheibe herum, (es war aber kein Schwindel) dazu gesellten sich schoͤpferische Vorstellungen von unendlichen, Millionenzeiten und Raͤumen, die ich zu durchwandern hatte, der Gedanke der Unmoͤglichkeit je diese Reise, dieses Unermeßliche, das ich immer wie in einem unaufhoͤrlichen Kreise vor mir sah, zu vollenden, (und dies alles im wachenden Zustand) verursachte in mir ausserordentliche Baͤnglichkeit, in der ich mich oft nicht enthalten konnte, mit einem Satz aus dem Bette und aͤngstlichem Zuruͤckwandern in die Stube, wo mein Vater gewoͤhnlich noch am Schreibtisch saß, jenen Schrecken zu entgehen.

Wenn ich mich erhohlt hatte, wuste ich selbst nicht, wie mir zu Muthe war, ich sah, daß nichts außer mir war, was mich aͤngstigte, und doch ging ich mit Grauen wieder zu Bette. Wenn ich mich da bei voͤlligem Bewustseyn meiner selbst und der Nichtigkeit meiner Angst zu erhalten suchte, hatte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0074" n="72"/><lb/>
          <p>Einige Jahre drauf begegnete es mir mehrere Jahre hintereinander fast alle Nachte,                   daß ich, nachdem ich mich schlafen gelegt hatte, ganz sonderbare Auftritte hatte. </p>
          <p>Dieß waren die, von denen ich mich in keiner menschlichen Sprache wegen ihrer                   Ungewo&#x0364;hnlichkeit, wegen der blos dunkeln Vorstellungen, in denen sie mir                   vorschweben, und wegen dem damaligen Mangel an Beobachtungsgeist u&#x0364;ber mich selbst,                   nicht auslassen kann. Es ging alles mit mir, wie in der Scheibe herum, (es war                   aber kein <hi rendition="#b">Schwindel</hi>) dazu gesellten sich scho&#x0364;pferische                   Vorstellungen von unendlichen, Millionenzeiten und Ra&#x0364;umen, die ich zu durchwandern                   hatte, der Gedanke der Unmo&#x0364;glichkeit je diese Reise, dieses Unermeßliche, das ich                   immer wie in einem unaufho&#x0364;rlichen Kreise vor mir sah, zu vollenden, (und dies                   alles im wachenden Zustand) verursachte in mir ausserordentliche Ba&#x0364;nglichkeit, in                   der ich mich oft nicht enthalten konnte, mit einem Satz aus dem Bette und                   a&#x0364;ngstlichem Zuru&#x0364;ckwandern in die Stube, wo mein Vater gewo&#x0364;hnlich noch am                   Schreibtisch saß, jenen Schrecken zu entgehen. </p>
          <p>Wenn ich mich erhohlt hatte, wuste ich selbst nicht, wie mir zu Muthe war, ich                   sah, daß nichts außer mir war, was mich a&#x0364;ngstigte, und doch ging ich mit Grauen                   wieder zu Bette. Wenn ich mich da bei vo&#x0364;lligem Bewustseyn meiner selbst und der                   Nichtigkeit meiner Angst zu erhalten suchte, hatte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0074] Einige Jahre drauf begegnete es mir mehrere Jahre hintereinander fast alle Nachte, daß ich, nachdem ich mich schlafen gelegt hatte, ganz sonderbare Auftritte hatte. Dieß waren die, von denen ich mich in keiner menschlichen Sprache wegen ihrer Ungewoͤhnlichkeit, wegen der blos dunkeln Vorstellungen, in denen sie mir vorschweben, und wegen dem damaligen Mangel an Beobachtungsgeist uͤber mich selbst, nicht auslassen kann. Es ging alles mit mir, wie in der Scheibe herum, (es war aber kein Schwindel) dazu gesellten sich schoͤpferische Vorstellungen von unendlichen, Millionenzeiten und Raͤumen, die ich zu durchwandern hatte, der Gedanke der Unmoͤglichkeit je diese Reise, dieses Unermeßliche, das ich immer wie in einem unaufhoͤrlichen Kreise vor mir sah, zu vollenden, (und dies alles im wachenden Zustand) verursachte in mir ausserordentliche Baͤnglichkeit, in der ich mich oft nicht enthalten konnte, mit einem Satz aus dem Bette und aͤngstlichem Zuruͤckwandern in die Stube, wo mein Vater gewoͤhnlich noch am Schreibtisch saß, jenen Schrecken zu entgehen. Wenn ich mich erhohlt hatte, wuste ich selbst nicht, wie mir zu Muthe war, ich sah, daß nichts außer mir war, was mich aͤngstigte, und doch ging ich mit Grauen wieder zu Bette. Wenn ich mich da bei voͤlligem Bewustseyn meiner selbst und der Nichtigkeit meiner Angst zu erhalten suchte, hatte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/74
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/74>, abgerufen am 29.11.2024.