Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite


tive und Accusative? Aber mit den Verbis ist es doch noch wunderbarer. Wer lehrt sie die gegenwärtige, geschehene Zeit von der vergangnen, die geschehene Handlung von der künftigen unterscheiden? Wer lehrt sie auf das (t) merken, ich liebte: Ja wer lehrt sie sagen: ich will, ich werde lernen? Noch mehr: anomalische, abweichende Verba: ich as, ich wollte, ich fuhr? Freilich sprechen auch wohl, nicht nur Kinder, auch Frauenzimmer, er singte: aber dies ist schon Analogie vom, ich hörte, nur falsch angewendet, wie jener Franzos machte: ich gehe, ich gieng also: ich stehe, ich stieng. Auch sagte einmahl ein kleines Mädchen zu mir: ich habe die Mama gebittet; aber dies ist selten; meist reden sie ordentlich. Wer lehrt sie dies, da wir das Teutsche nie förmlich, nie grammatisch in der Kindheit lernen! Wer lehrt sie jedes Tempus am rechten Orte brauchen? Dies ist schon Vernunft, Ueberlegung! Aber wie hat sie sich entwickelt? Gewiß, in der Muttersprache selbst, in der nationalen Organisation darzu, z.B. zum Englischen th, zum Französischen eu, u, in liegt Anlage, wo ich mit Erlaubniß, oder ohne Erlaubniß aller Neuern, Deum ex machina, schöpferische Grundeinrichtung, so lange erkenne, bis mir es jemand näher aus Mittelursachen erklärt.

Was ich oben vom Genitive sagte, ist in den Morgenländischen, das ist, in den Sprachen der


tive und Accusative? Aber mit den Verbis ist es doch noch wunderbarer. Wer lehrt sie die gegenwaͤrtige, geschehene Zeit von der vergangnen, die geschehene Handlung von der kuͤnftigen unterscheiden? Wer lehrt sie auf das (t) merken, ich liebte: Ja wer lehrt sie sagen: ich will, ich werde lernen? Noch mehr: anomalische, abweichende Verba: ich as, ich wollte, ich fuhr? Freilich sprechen auch wohl, nicht nur Kinder, auch Frauenzimmer, er singte: aber dies ist schon Analogie vom, ich hoͤrte, nur falsch angewendet, wie jener Franzos machte: ich gehe, ich gieng also: ich stehe, ich stieng. Auch sagte einmahl ein kleines Maͤdchen zu mir: ich habe die Mama gebittet; aber dies ist selten; meist reden sie ordentlich. Wer lehrt sie dies, da wir das Teutsche nie foͤrmlich, nie grammatisch in der Kindheit lernen! Wer lehrt sie jedes Tempus am rechten Orte brauchen? Dies ist schon Vernunft, Ueberlegung! Aber wie hat sie sich entwickelt? Gewiß, in der Muttersprache selbst, in der nationalen Organisation darzu, z.B. zum Englischen th, zum Franzoͤsischen eu, u, in liegt Anlage, wo ich mit Erlaubniß, oder ohne Erlaubniß aller Neuern, Deum ex machina, schoͤpferische Grundeinrichtung, so lange erkenne, bis mir es jemand naͤher aus Mittelursachen erklaͤrt.

Was ich oben vom Genitive sagte, ist in den Morgenlaͤndischen, das ist, in den Sprachen der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0070" n="68"/><lb/>
tive                   und Accusative? Aber mit den Verbis ist es doch noch wunderbarer. Wer lehrt sie                   die gegenwa&#x0364;rtige, geschehene Zeit von der vergangnen, die geschehene Handlung von                   der ku&#x0364;nftigen unterscheiden? Wer lehrt sie auf das <hi rendition="#aq">(t)</hi> merken, ich liebte: Ja wer lehrt sie sagen: ich <hi rendition="#b">will,</hi> ich <hi rendition="#b">werde</hi> lernen? Noch mehr: anomalische, abweichende                   Verba: ich <hi rendition="#b">as,</hi> ich <hi rendition="#b">wollte,</hi> ich <hi rendition="#b">fuhr?</hi> Freilich sprechen auch wohl, nicht nur Kinder,                   auch Frauenzimmer, er <hi rendition="#b">singte:</hi> aber dies ist schon                   Analogie vom, ich <hi rendition="#b">ho&#x0364;rte,</hi> nur falsch angewendet, wie jener                   Franzos machte: ich <hi rendition="#b">gehe, </hi> ich <hi rendition="#b">gieng</hi> also: ich <hi rendition="#b">stehe,</hi> ich <hi rendition="#b">stieng.</hi> Auch sagte einmahl ein kleines Ma&#x0364;dchen zu mir: ich habe die                   Mama <hi rendition="#b">gebittet;</hi> aber dies ist selten; meist reden sie                   ordentlich. Wer lehrt sie dies, da wir das Teutsche nie fo&#x0364;rmlich, nie grammatisch                   in der Kindheit lernen! Wer lehrt sie jedes <hi rendition="#aq">Tempus</hi> am <hi rendition="#b">rechten</hi> Orte brauchen? Dies ist schon Vernunft,                   Ueberlegung! Aber wie hat sie sich entwickelt? Gewiß, in der Muttersprache selbst,                   in der nationalen Organisation darzu, z.B. zum Englischen <hi rendition="#aq">th,</hi> zum Franzo&#x0364;sischen <hi rendition="#aq">eu, u, in</hi> liegt                   Anlage, wo ich mit Erlaubniß, oder ohne Erlaubniß aller Neuern, <hi rendition="#aq">Deum ex machina,</hi> scho&#x0364;pferische Grundeinrichtung, so lange                   erkenne, bis mir es jemand na&#x0364;her aus Mittelursachen erkla&#x0364;rt. </p>
          <p>Was ich oben vom Genitive sagte, ist in den Morgenla&#x0364;ndischen, das ist, in den                   Sprachen der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0070] tive und Accusative? Aber mit den Verbis ist es doch noch wunderbarer. Wer lehrt sie die gegenwaͤrtige, geschehene Zeit von der vergangnen, die geschehene Handlung von der kuͤnftigen unterscheiden? Wer lehrt sie auf das (t) merken, ich liebte: Ja wer lehrt sie sagen: ich will, ich werde lernen? Noch mehr: anomalische, abweichende Verba: ich as, ich wollte, ich fuhr? Freilich sprechen auch wohl, nicht nur Kinder, auch Frauenzimmer, er singte: aber dies ist schon Analogie vom, ich hoͤrte, nur falsch angewendet, wie jener Franzos machte: ich gehe, ich gieng also: ich stehe, ich stieng. Auch sagte einmahl ein kleines Maͤdchen zu mir: ich habe die Mama gebittet; aber dies ist selten; meist reden sie ordentlich. Wer lehrt sie dies, da wir das Teutsche nie foͤrmlich, nie grammatisch in der Kindheit lernen! Wer lehrt sie jedes Tempus am rechten Orte brauchen? Dies ist schon Vernunft, Ueberlegung! Aber wie hat sie sich entwickelt? Gewiß, in der Muttersprache selbst, in der nationalen Organisation darzu, z.B. zum Englischen th, zum Franzoͤsischen eu, u, in liegt Anlage, wo ich mit Erlaubniß, oder ohne Erlaubniß aller Neuern, Deum ex machina, schoͤpferische Grundeinrichtung, so lange erkenne, bis mir es jemand naͤher aus Mittelursachen erklaͤrt. Was ich oben vom Genitive sagte, ist in den Morgenlaͤndischen, das ist, in den Sprachen der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/70
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/70>, abgerufen am 03.05.2024.