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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.

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Christian Philipp Schönfeld, ein spanischer Weber in Berlin, bei dem die Traumideen sich auch so stark mit den Wahrheitsideen vermischten, daß er die ungeheuren Schätze, von denen ihm des Nachts geträumt hatte, wirklich gehoben zu haben glaubte, und also in Ansehung dieses Punktes völlig wahnwitzig wurde.

Christian Gragert, ein Gensd'armes in Berlin, der durch das fleißige Lesen des Propheten Daniels dahin gebracht wurde, daß er sich in den Kopf setzte, Wunder thun zu können. -- Es kömmt alles auf die Gewöhnung der Gedanken an. Auch der beste Kopf, der sich in die Lektüre von Wundern zu lange vertiefte, würde vielleicht am Ende unterliegen, wie vielmehr denn ein Mensch, der sich nie zu denken gewöhnt hat. -- Merkwürdig würde aber eine Sammlung von Beispielen seyn, was eine eingeschränkte und oft wiederhohlte Lektüre auf das ganze Gedankensystem für einen Einfluß haben kann.

Der Kindermörder Seibel, welcher aus Lebensüberdruß ein Kind ermordete, das er zu dem Ende vorher viele Gebete und Sprüche aus der Bibel lehrte, um es recht fromm zu machen, ist in seiner Art ein sehr merkwürdiges Beispiel. Der Lebensüberdruß scheint eine eigne Seelenkrankheit zu seyn, welche wohl vorzügliche Aufmerksamkeit verdient, da sie so entsetzliche Wirkungen hervorbringt.



Christian Philipp Schoͤnfeld, ein spanischer Weber in Berlin, bei dem die Traumideen sich auch so stark mit den Wahrheitsideen vermischten, daß er die ungeheuren Schaͤtze, von denen ihm des Nachts getraͤumt hatte, wirklich gehoben zu haben glaubte, und also in Ansehung dieses Punktes voͤllig wahnwitzig wurde.

Christian Gragert, ein Gensd'armes in Berlin, der durch das fleißige Lesen des Propheten Daniels dahin gebracht wurde, daß er sich in den Kopf setzte, Wunder thun zu koͤnnen. — Es koͤmmt alles auf die Gewoͤhnung der Gedanken an. Auch der beste Kopf, der sich in die Lektuͤre von Wundern zu lange vertiefte, wuͤrde vielleicht am Ende unterliegen, wie vielmehr denn ein Mensch, der sich nie zu denken gewoͤhnt hat. — Merkwuͤrdig wuͤrde aber eine Sammlung von Beispielen seyn, was eine eingeschraͤnkte und oft wiederhohlte Lektuͤre auf das ganze Gedankensystem fuͤr einen Einfluß haben kann.

Der Kindermoͤrder Seibel, welcher aus Lebensuͤberdruß ein Kind ermordete, das er zu dem Ende vorher viele Gebete und Spruͤche aus der Bibel lehrte, um es recht fromm zu machen, ist in seiner Art ein sehr merkwuͤrdiges Beispiel. Der Lebensuͤberdruß scheint eine eigne Seelenkrankheit zu seyn, welche wohl vorzuͤgliche Aufmerksamkeit verdient, da sie so entsetzliche Wirkungen hervorbringt.


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[11/0013] Christian Philipp Schoͤnfeld, ein spanischer Weber in Berlin, bei dem die Traumideen sich auch so stark mit den Wahrheitsideen vermischten, daß er die ungeheuren Schaͤtze, von denen ihm des Nachts getraͤumt hatte, wirklich gehoben zu haben glaubte, und also in Ansehung dieses Punktes voͤllig wahnwitzig wurde. Christian Gragert, ein Gensd'armes in Berlin, der durch das fleißige Lesen des Propheten Daniels dahin gebracht wurde, daß er sich in den Kopf setzte, Wunder thun zu koͤnnen. — Es koͤmmt alles auf die Gewoͤhnung der Gedanken an. Auch der beste Kopf, der sich in die Lektuͤre von Wundern zu lange vertiefte, wuͤrde vielleicht am Ende unterliegen, wie vielmehr denn ein Mensch, der sich nie zu denken gewoͤhnt hat. — Merkwuͤrdig wuͤrde aber eine Sammlung von Beispielen seyn, was eine eingeschraͤnkte und oft wiederhohlte Lektuͤre auf das ganze Gedankensystem fuͤr einen Einfluß haben kann. Der Kindermoͤrder Seibel, welcher aus Lebensuͤberdruß ein Kind ermordete, das er zu dem Ende vorher viele Gebete und Spruͤche aus der Bibel lehrte, um es recht fromm zu machen, ist in seiner Art ein sehr merkwuͤrdiges Beispiel. Der Lebensuͤberdruß scheint eine eigne Seelenkrankheit zu seyn, welche wohl vorzuͤgliche Aufmerksamkeit verdient, da sie so entsetzliche Wirkungen hervorbringt.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/13>, abgerufen am 27.04.2024.