Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


Stimmung unseres Gemüths wird es ausserordentlich leicht, alles -- ohne Untersuchung zu glauben, was uns aus jenen wundervollen Tagen erzählt wird; aber nicht nur Zu glauben, sondern uns auch gegen jeden zu entrüsten, welcher aus Gründen der Vernunft jene wunderbaren Begebenheiten, die sich gemeiniglich unter sehr unwissenden Leuten zugetragen haben, nicht glauben kann.

Doch ich komme wieder zu den Würkungen des Wunderbaren auf die menschliche Seele zurück. Die lebhafte Bewegung, in welche unsere Phantasie allemahl durch ausserordentliche Begebenheiten versetzt wird, theilt sich zugleich einer Menge unserer Leidenschaften mit, die sich bald mit Schrecken und Furcht, bald mit einer überwiegenden Freude, bald in beiden, oder gemischten Empfindungen äußern, je nachdem das Wunderbare einer Begebenheit bald so, bald anders auf unser Herz würkt, und auf dieses würkt es allemal, daher wir auch gemeiniglich einen so lebhaften Antheil an den Schicksalen sogenannter Wunderthäter nehmen, und nicht selten noch eine Hochachtung für sie fühlen, wenn auch ihre Betrügereien schon entdeckt sind.

Nächst dem Erstaunen ist Furcht und Schrecken gemeiniglich mit dem Zustande der Bewunderung verbunden, obgleich jenes von diesen letztern Empfindungen sehr verschieden sein kann. Die Vorstellung von gewissen bei wunderbaren Begebenheiten verborgenen unsichtbaren Kräften und Geistern er-


Stimmung unseres Gemuͤths wird es ausserordentlich leicht, alles — ohne Untersuchung zu glauben, was uns aus jenen wundervollen Tagen erzaͤhlt wird; aber nicht nur Zu glauben, sondern uns auch gegen jeden zu entruͤsten, welcher aus Gruͤnden der Vernunft jene wunderbaren Begebenheiten, die sich gemeiniglich unter sehr unwissenden Leuten zugetragen haben, nicht glauben kann.

Doch ich komme wieder zu den Wuͤrkungen des Wunderbaren auf die menschliche Seele zuruͤck. Die lebhafte Bewegung, in welche unsere Phantasie allemahl durch ausserordentliche Begebenheiten versetzt wird, theilt sich zugleich einer Menge unserer Leidenschaften mit, die sich bald mit Schrecken und Furcht, bald mit einer uͤberwiegenden Freude, bald in beiden, oder gemischten Empfindungen aͤußern, je nachdem das Wunderbare einer Begebenheit bald so, bald anders auf unser Herz wuͤrkt, und auf dieses wuͤrkt es allemal, daher wir auch gemeiniglich einen so lebhaften Antheil an den Schicksalen sogenannter Wunderthaͤter nehmen, und nicht selten noch eine Hochachtung fuͤr sie fuͤhlen, wenn auch ihre Betruͤgereien schon entdeckt sind.

Naͤchst dem Erstaunen ist Furcht und Schrecken gemeiniglich mit dem Zustande der Bewunderung verbunden, obgleich jenes von diesen letztern Empfindungen sehr verschieden sein kann. Die Vorstellung von gewissen bei wunderbaren Begebenheiten verborgenen unsichtbaren Kraͤften und Geistern er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0093" n="93"/><lb/>
Stimmung unseres Gemu&#x0364;ths wird es ausserordentlich leicht,                   alles &#x2014; ohne Untersuchung zu glauben, was uns aus jenen wundervollen Tagen erza&#x0364;hlt                   wird; aber nicht nur Zu glauben, sondern uns auch gegen jeden zu entru&#x0364;sten,                   welcher aus Gru&#x0364;nden der Vernunft jene wunderbaren Begebenheiten, die sich                   gemeiniglich unter sehr unwissenden Leuten zugetragen haben, nicht glauben kann. </p>
            <p>Doch ich komme wieder zu den Wu&#x0364;rkungen des Wunderbaren auf die menschliche Seele                   zuru&#x0364;ck. Die lebhafte Bewegung, in welche unsere Phantasie allemahl durch                   ausserordentliche Begebenheiten versetzt wird, theilt sich zugleich einer Menge                   unserer Leidenschaften mit, die sich bald mit Schrecken und Furcht, bald mit einer                   u&#x0364;berwiegenden Freude, bald in beiden, oder gemischten Empfindungen a&#x0364;ußern, je                   nachdem das Wunderbare einer Begebenheit bald so, bald anders auf unser Herz                   wu&#x0364;rkt, und auf dieses wu&#x0364;rkt es allemal, daher wir auch gemeiniglich einen so                   lebhaften Antheil an den Schicksalen sogenannter Wundertha&#x0364;ter nehmen, und nicht                   selten noch eine Hochachtung fu&#x0364;r sie fu&#x0364;hlen, wenn auch ihre Betru&#x0364;gereien schon                   entdeckt sind. </p>
            <p>Na&#x0364;chst dem Erstaunen ist Furcht und Schrecken gemeiniglich mit dem Zustande der                   Bewunderung verbunden, obgleich jenes von diesen letztern Empfindungen sehr                   verschieden sein kann. Die Vorstellung von gewissen bei wunderbaren Begebenheiten                   verborgenen unsichtbaren Kra&#x0364;ften und Geistern er-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0093] Stimmung unseres Gemuͤths wird es ausserordentlich leicht, alles — ohne Untersuchung zu glauben, was uns aus jenen wundervollen Tagen erzaͤhlt wird; aber nicht nur Zu glauben, sondern uns auch gegen jeden zu entruͤsten, welcher aus Gruͤnden der Vernunft jene wunderbaren Begebenheiten, die sich gemeiniglich unter sehr unwissenden Leuten zugetragen haben, nicht glauben kann. Doch ich komme wieder zu den Wuͤrkungen des Wunderbaren auf die menschliche Seele zuruͤck. Die lebhafte Bewegung, in welche unsere Phantasie allemahl durch ausserordentliche Begebenheiten versetzt wird, theilt sich zugleich einer Menge unserer Leidenschaften mit, die sich bald mit Schrecken und Furcht, bald mit einer uͤberwiegenden Freude, bald in beiden, oder gemischten Empfindungen aͤußern, je nachdem das Wunderbare einer Begebenheit bald so, bald anders auf unser Herz wuͤrkt, und auf dieses wuͤrkt es allemal, daher wir auch gemeiniglich einen so lebhaften Antheil an den Schicksalen sogenannter Wunderthaͤter nehmen, und nicht selten noch eine Hochachtung fuͤr sie fuͤhlen, wenn auch ihre Betruͤgereien schon entdeckt sind. Naͤchst dem Erstaunen ist Furcht und Schrecken gemeiniglich mit dem Zustande der Bewunderung verbunden, obgleich jenes von diesen letztern Empfindungen sehr verschieden sein kann. Die Vorstellung von gewissen bei wunderbaren Begebenheiten verborgenen unsichtbaren Kraͤften und Geistern er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/93
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/93>, abgerufen am 04.05.2024.