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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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wenn uns eine wunderbare Begebenheit erzählt wird; oder wenn wir sie selbst zu sehen Gelegenheit haben. Unser Blut fängt heftiger zu wallen an, unsere Gedanken folgen in einer ungewöhnlichen Schnelligkeit auf einander. Unsere Aufmerksamkeit scheint sich mit jedem Augenblicke zu verdoppeln. Alle unsere Seelenkräfte sind gespannt, um keinen Umstand der sonderbaren Begebenheit ausser Acht zu lassen, und diese Spannung drückt sich sogar in Zügen unseres Gesichts aus. Man hat sogar merkwürdige Beispiele, daß Menschen dabei in Ohnmachten und Wahnsinn gefallen sind. Nichts ist uns unangenehmer, als in diesem Zustande lebhafter Vorstellungen, worein uns das Wunderbare versetzt hat, durch Gegenstände gestört zu werden, welche diese neuen Vorstellungen unterbrechen, und wir wünschen nicht selten -- wenn wir auch gleich an die wunderbare Begebenheit selbst nicht glauben können -- daß sie wahr seyn möchte. So angenehm ist das Vergnügen, welches wir daraus schöpfen, und so stark der Reiz, welchen die Bewunderung für unsere Vorstellungen und Empfindungen hat.*) Die Wunderthäter älterer und neuerer

*) Hume -- der unsterbliche Hume, hat sehr Recht. Die Leidenschaft des Erstaunens und des Bewunderns, sagt er, die durch die Wunderwerke erregt wird, ist eine angenehme Bewegung und Aufwallung des Gemüths, und lenket uns deswegen auf eine merkliche Weise diejenigen Begebenheiten zu glauben, durch welche sie erregt wird. Und dieses geht so weit, daß selbst diejenigen, welche dieses Vergnügen nicht unmittelbar geniessen, noch diejenigen wunderbaren Begebenheiten glauben können, von denen sie berichtet werden, dennoch dieses Vergnügens von der andern Hand, und gleichsam durch eine Zurückprallung theilhaftig werden wollen, und einen Stolz und eine Belustigung darin suchen, die Bewunderung anderer zu erwecken. Siehe Humes Versuch von den Wunderwerken.


wenn uns eine wunderbare Begebenheit erzaͤhlt wird; oder wenn wir sie selbst zu sehen Gelegenheit haben. Unser Blut faͤngt heftiger zu wallen an, unsere Gedanken folgen in einer ungewoͤhnlichen Schnelligkeit auf einander. Unsere Aufmerksamkeit scheint sich mit jedem Augenblicke zu verdoppeln. Alle unsere Seelenkraͤfte sind gespannt, um keinen Umstand der sonderbaren Begebenheit ausser Acht zu lassen, und diese Spannung druͤckt sich sogar in Zuͤgen unseres Gesichts aus. Man hat sogar merkwuͤrdige Beispiele, daß Menschen dabei in Ohnmachten und Wahnsinn gefallen sind. Nichts ist uns unangenehmer, als in diesem Zustande lebhafter Vorstellungen, worein uns das Wunderbare versetzt hat, durch Gegenstaͤnde gestoͤrt zu werden, welche diese neuen Vorstellungen unterbrechen, und wir wuͤnschen nicht selten — wenn wir auch gleich an die wunderbare Begebenheit selbst nicht glauben koͤnnen — daß sie wahr seyn moͤchte. So angenehm ist das Vergnuͤgen, welches wir daraus schoͤpfen, und so stark der Reiz, welchen die Bewunderung fuͤr unsere Vorstellungen und Empfindungen hat.*) Die Wunderthaͤter aͤlterer und neuerer

*) Hume — der unsterbliche Hume, hat sehr Recht. Die Leidenschaft des Erstaunens und des Bewunderns, sagt er, die durch die Wunderwerke erregt wird, ist eine angenehme Bewegung und Aufwallung des Gemuͤths, und lenket uns deswegen auf eine merkliche Weise diejenigen Begebenheiten zu glauben, durch welche sie erregt wird. Und dieses geht so weit, daß selbst diejenigen, welche dieses Vergnuͤgen nicht unmittelbar geniessen, noch diejenigen wunderbaren Begebenheiten glauben koͤnnen, von denen sie berichtet werden, dennoch dieses Vergnuͤgens von der andern Hand, und gleichsam durch eine Zuruͤckprallung theilhaftig werden wollen, und einen Stolz und eine Belustigung darin suchen, die Bewunderung anderer zu erwecken. Siehe Humes Versuch von den Wunderwerken.
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[85/0085] wenn uns eine wunderbare Begebenheit erzaͤhlt wird; oder wenn wir sie selbst zu sehen Gelegenheit haben. Unser Blut faͤngt heftiger zu wallen an, unsere Gedanken folgen in einer ungewoͤhnlichen Schnelligkeit auf einander. Unsere Aufmerksamkeit scheint sich mit jedem Augenblicke zu verdoppeln. Alle unsere Seelenkraͤfte sind gespannt, um keinen Umstand der sonderbaren Begebenheit ausser Acht zu lassen, und diese Spannung druͤckt sich sogar in Zuͤgen unseres Gesichts aus. Man hat sogar merkwuͤrdige Beispiele, daß Menschen dabei in Ohnmachten und Wahnsinn gefallen sind. Nichts ist uns unangenehmer, als in diesem Zustande lebhafter Vorstellungen, worein uns das Wunderbare versetzt hat, durch Gegenstaͤnde gestoͤrt zu werden, welche diese neuen Vorstellungen unterbrechen, und wir wuͤnschen nicht selten — wenn wir auch gleich an die wunderbare Begebenheit selbst nicht glauben koͤnnen — daß sie wahr seyn moͤchte. So angenehm ist das Vergnuͤgen, welches wir daraus schoͤpfen, und so stark der Reiz, welchen die Bewunderung fuͤr unsere Vorstellungen und Empfindungen hat.*) Die Wunderthaͤter aͤlterer und neuerer *) Hume — der unsterbliche Hume, hat sehr Recht. Die Leidenschaft des Erstaunens und des Bewunderns, sagt er, die durch die Wunderwerke erregt wird, ist eine angenehme Bewegung und Aufwallung des Gemuͤths, und lenket uns deswegen auf eine merkliche Weise diejenigen Begebenheiten zu glauben, durch welche sie erregt wird. Und dieses geht so weit, daß selbst diejenigen, welche dieses Vergnuͤgen nicht unmittelbar geniessen, noch diejenigen wunderbaren Begebenheiten glauben koͤnnen, von denen sie berichtet werden, dennoch dieses Vergnuͤgens von der andern Hand, und gleichsam durch eine Zuruͤckprallung theilhaftig werden wollen, und einen Stolz und eine Belustigung darin suchen, die Bewunderung anderer zu erwecken. Siehe Humes Versuch von den Wunderwerken.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/85>, abgerufen am 25.11.2024.