Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.Aber eben weil ich diesen aufwallenden Mordgedanken nicht von allen Seiten betrachtete, um das Zufällige desselben einzusehen; so verfolgte ich ihn in seiner Einheit, gleich dem Furchtsamen, der unaufhaltsam fortläuft, indem ihm sein zurückbleibender Verfolger triumphirend nachsieht. Jch möchte daher eine doppelte Beschaffenheit unsrer Jdeen annehmen: entweder ist die Wirksamkeit derselben positiv, wenn der Geist mit freyer Einsicht und Bewußtseyn handelt, das wäre Selbstmacht des Geistes -- oder sie ist negativ, wenn eine Vorstellung herrschend wird, die man im Moment der ersten Regung hätte schwächen sollen, wäre es auch nicht möglich gewesen, sie ganz zu unterdrücken; daraus entsteht Ohnmacht des Geistes, wenn wir eine unwillkührlich herrschende Jdee nicht entfernen können. Ueberläßt sich nun die Seele leidend einem solchem Zustand, worin sie mehr empfindet als denkt, so ist sie sich des Uebergangs von einer Jdee zu der andern nicht deutlich bewußt. Aus diesem Mangel der Einsicht in den Zusammenhang zwischen Grund und Folge, glaubt' ich einen nothwendigen Beruf zu haben -- gedacht! gethan! -- ich stand auf -- Doch ermannt ich mich, und kam in dieser Crisis auf den Gedanken, das Messer zusammen zu legen und zu verstecken. Zu dem sonderbaren Einfall, dasselbe auf diese Art in Sicherheit zu bringen, scheint mir die Wegräumung der Bücher das Vehikel Aber eben weil ich diesen aufwallenden Mordgedanken nicht von allen Seiten betrachtete, um das Zufaͤllige desselben einzusehen; so verfolgte ich ihn in seiner Einheit, gleich dem Furchtsamen, der unaufhaltsam fortlaͤuft, indem ihm sein zuruͤckbleibender Verfolger triumphirend nachsieht. Jch moͤchte daher eine doppelte Beschaffenheit unsrer Jdeen annehmen: entweder ist die Wirksamkeit derselben positiv, wenn der Geist mit freyer Einsicht und Bewußtseyn handelt, das waͤre Selbstmacht des Geistes — oder sie ist negativ, wenn eine Vorstellung herrschend wird, die man im Moment der ersten Regung haͤtte schwaͤchen sollen, waͤre es auch nicht moͤglich gewesen, sie ganz zu unterdruͤcken; daraus entsteht Ohnmacht des Geistes, wenn wir eine unwillkuͤhrlich herrschende Jdee nicht entfernen koͤnnen. Ueberlaͤßt sich nun die Seele leidend einem solchem Zustand, worin sie mehr empfindet als denkt, so ist sie sich des Uebergangs von einer Jdee zu der andern nicht deutlich bewußt. Aus diesem Mangel der Einsicht in den Zusammenhang zwischen Grund und Folge, glaubt' ich einen nothwendigen Beruf zu haben — gedacht! gethan! — ich stand auf — Doch ermannt ich mich, und kam in dieser Crisis auf den Gedanken, das Messer zusammen zu legen und zu verstecken. Zu dem sonderbaren Einfall, dasselbe auf diese Art in Sicherheit zu bringen, scheint mir die Wegraͤumung der Buͤcher das Vehikel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0073" n="73"/><lb/> <p>Aber eben weil ich diesen aufwallenden Mordgedanken nicht von allen Seiten betrachtete, um das Zufaͤllige desselben einzusehen; so verfolgte ich ihn in seiner Einheit, gleich dem Furchtsamen, der unaufhaltsam fortlaͤuft, indem ihm sein zuruͤckbleibender Verfolger triumphirend nachsieht. Jch moͤchte daher eine doppelte Beschaffenheit unsrer Jdeen annehmen: entweder ist die Wirksamkeit derselben positiv, wenn der Geist mit freyer Einsicht und Bewußtseyn handelt, das waͤre Selbstmacht des Geistes — oder sie ist negativ, wenn eine Vorstellung herrschend wird, die man im Moment der ersten Regung haͤtte schwaͤchen sollen, waͤre es auch nicht moͤglich gewesen, sie ganz zu unterdruͤcken; daraus entsteht Ohnmacht des Geistes, wenn wir eine unwillkuͤhrlich herrschende Jdee nicht entfernen koͤnnen. Ueberlaͤßt sich nun die Seele leidend einem solchem Zustand, worin sie mehr empfindet als denkt, so ist sie sich des Uebergangs von einer Jdee zu der andern nicht deutlich bewußt. Aus diesem Mangel der Einsicht in den Zusammenhang zwischen Grund und Folge, glaubt' ich einen nothwendigen Beruf zu haben — gedacht! gethan! — ich stand auf — </p> <p>Doch ermannt ich mich, und kam in dieser Crisis auf den Gedanken, das Messer zusammen zu legen und zu verstecken. Zu dem sonderbaren Einfall, dasselbe auf diese Art in Sicherheit zu bringen, scheint mir die Wegraͤumung der Buͤcher das Vehikel<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [73/0073]
Aber eben weil ich diesen aufwallenden Mordgedanken nicht von allen Seiten betrachtete, um das Zufaͤllige desselben einzusehen; so verfolgte ich ihn in seiner Einheit, gleich dem Furchtsamen, der unaufhaltsam fortlaͤuft, indem ihm sein zuruͤckbleibender Verfolger triumphirend nachsieht. Jch moͤchte daher eine doppelte Beschaffenheit unsrer Jdeen annehmen: entweder ist die Wirksamkeit derselben positiv, wenn der Geist mit freyer Einsicht und Bewußtseyn handelt, das waͤre Selbstmacht des Geistes — oder sie ist negativ, wenn eine Vorstellung herrschend wird, die man im Moment der ersten Regung haͤtte schwaͤchen sollen, waͤre es auch nicht moͤglich gewesen, sie ganz zu unterdruͤcken; daraus entsteht Ohnmacht des Geistes, wenn wir eine unwillkuͤhrlich herrschende Jdee nicht entfernen koͤnnen. Ueberlaͤßt sich nun die Seele leidend einem solchem Zustand, worin sie mehr empfindet als denkt, so ist sie sich des Uebergangs von einer Jdee zu der andern nicht deutlich bewußt. Aus diesem Mangel der Einsicht in den Zusammenhang zwischen Grund und Folge, glaubt' ich einen nothwendigen Beruf zu haben — gedacht! gethan! — ich stand auf —
Doch ermannt ich mich, und kam in dieser Crisis auf den Gedanken, das Messer zusammen zu legen und zu verstecken. Zu dem sonderbaren Einfall, dasselbe auf diese Art in Sicherheit zu bringen, scheint mir die Wegraͤumung der Buͤcher das Vehikel
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/73>, abgerufen am 18.07.2024. |