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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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liche Empfindung aus Erfahrung kennt, oder aus Leichtsinn nicht darauf achtet, ein unschuldiges Thier, mit kaltem Blute, zu Tode martern; es belustiget sich sogar, weil es sich in den Schmerz desselben nicht hinein denken, ihn noch nicht mit empfinden kann, an den konvulsivischen Bewegungen desselben, und scheint in diesem Augenblick ein dunkles Gefühl von Uebermacht und Größe zu haben, Herr über Leben und Tod zu seyn. Noch kann ich die starke Muthmaßung nicht verschweigen, so gern auch die Verschwiegenheit bei dem alles menschliche Gefühl empörenden Gedanken, den Finger auf den Mund legte, daß ich in diesen Gedränge wilder Vorstellungen und Empfindungen einen unwiderstehlichen Trieb empfand, diese That als etwas ausserordentliches auszuführen. Dieser heftige Drang meiner Seele nach Kraftäusserung, die gerade auf diese verwirrte Vorstellung mit der größten Geschwindigkeit gerieth, mußte eben daher mein Gemüth, nach den Gesetzen der Einbildungskraft, mit der furchtsamsten Aengstlichkeit*) erfüllen, und

*) Eben so schreibe ich den innern Beruf, zur Unzeit und am unrechten Orte laut reden zu müssen, vornehmlich der furchtsamen Bestürzung über das Unerwartete und Seltsame des Einfalls, und dem darauffolgenden Mißtrauen zu. Jn reifern Jahren konte der Unwille über einen falschen Gedanken, über unwichtige Deklamation u.d.g. noch besondere Veranlassung zum heimlichen Widersprechen geben. Es ist doch wohl nicht gar verbißner Unwille, daß einer die Freyheit hat, vor so vielen allein zu reden? Jch weiß sonst nicht, warum solche Anwandlungen gewöhnlich in der Kirche Statt finden.


liche Empfindung aus Erfahrung kennt, oder aus Leichtsinn nicht darauf achtet, ein unschuldiges Thier, mit kaltem Blute, zu Tode martern; es belustiget sich sogar, weil es sich in den Schmerz desselben nicht hinein denken, ihn noch nicht mit empfinden kann, an den konvulsivischen Bewegungen desselben, und scheint in diesem Augenblick ein dunkles Gefuͤhl von Uebermacht und Groͤße zu haben, Herr uͤber Leben und Tod zu seyn. Noch kann ich die starke Muthmaßung nicht verschweigen, so gern auch die Verschwiegenheit bei dem alles menschliche Gefuͤhl empoͤrenden Gedanken, den Finger auf den Mund legte, daß ich in diesen Gedraͤnge wilder Vorstellungen und Empfindungen einen unwiderstehlichen Trieb empfand, diese That als etwas ausserordentliches auszufuͤhren. Dieser heftige Drang meiner Seele nach Kraftaͤusserung, die gerade auf diese verwirrte Vorstellung mit der groͤßten Geschwindigkeit gerieth, mußte eben daher mein Gemuͤth, nach den Gesetzen der Einbildungskraft, mit der furchtsamsten Aengstlichkeit*) erfuͤllen, und

*) Eben so schreibe ich den innern Beruf, zur Unzeit und am unrechten Orte laut reden zu muͤssen, vornehmlich der furchtsamen Bestuͤrzung uͤber das Unerwartete und Seltsame des Einfalls, und dem darauffolgenden Mißtrauen zu. Jn reifern Jahren konte der Unwille uͤber einen falschen Gedanken, uͤber unwichtige Deklamation u.d.g. noch besondere Veranlassung zum heimlichen Widersprechen geben. Es ist doch wohl nicht gar verbißner Unwille, daß einer die Freyheit hat, vor so vielen allein zu reden? Jch weiß sonst nicht, warum solche Anwandlungen gewoͤhnlich in der Kirche Statt finden.
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[71/0071] liche Empfindung aus Erfahrung kennt, oder aus Leichtsinn nicht darauf achtet, ein unschuldiges Thier, mit kaltem Blute, zu Tode martern; es belustiget sich sogar, weil es sich in den Schmerz desselben nicht hinein denken, ihn noch nicht mit empfinden kann, an den konvulsivischen Bewegungen desselben, und scheint in diesem Augenblick ein dunkles Gefuͤhl von Uebermacht und Groͤße zu haben, Herr uͤber Leben und Tod zu seyn. Noch kann ich die starke Muthmaßung nicht verschweigen, so gern auch die Verschwiegenheit bei dem alles menschliche Gefuͤhl empoͤrenden Gedanken, den Finger auf den Mund legte, daß ich in diesen Gedraͤnge wilder Vorstellungen und Empfindungen einen unwiderstehlichen Trieb empfand, diese That als etwas ausserordentliches auszufuͤhren. Dieser heftige Drang meiner Seele nach Kraftaͤusserung, die gerade auf diese verwirrte Vorstellung mit der groͤßten Geschwindigkeit gerieth, mußte eben daher mein Gemuͤth, nach den Gesetzen der Einbildungskraft, mit der furchtsamsten Aengstlichkeit*) erfuͤllen, und *) Eben so schreibe ich den innern Beruf, zur Unzeit und am unrechten Orte laut reden zu muͤssen, vornehmlich der furchtsamen Bestuͤrzung uͤber das Unerwartete und Seltsame des Einfalls, und dem darauffolgenden Mißtrauen zu. Jn reifern Jahren konte der Unwille uͤber einen falschen Gedanken, uͤber unwichtige Deklamation u.d.g. noch besondere Veranlassung zum heimlichen Widersprechen geben. Es ist doch wohl nicht gar verbißner Unwille, daß einer die Freyheit hat, vor so vielen allein zu reden? Jch weiß sonst nicht, warum solche Anwandlungen gewoͤhnlich in der Kirche Statt finden.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/71>, abgerufen am 25.11.2024.