Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Des Sonntags besuchte er die Kirche Vor- und Nachmittags, und sahe den Prediger mit der größten Aufmerksamkeit an. Unter dem Singen las er im Gesangbuche; und bezeugte sich sehr andächtig. Als er ungefähr 20 Jahre alt war, sagte die Mutter dem dortigen Superintendent, daß ihr Sohn zum heiligen Abendmahl zugelassen zu werden wünsche, und sich oft darüber betrübte, daß er davon ausgeschloßen sey; wobei sie versicherte, daß er Begriffe vom Christenthume habe. Der Superintendent ließ ihn, nebst einem seiner guten Freunde, der gewohnt war, durch Zeichen mit ihm zu sprechen, und also ihr beider Dolmetscher seyn konnte, zu sich kommen, und fand, daß er mehr von der christlichen Religion wußte, als er hatte hoffen können. Er gab also dem Diaconus, den der Stumme selbst sich zum Beichtvater erwählt hatte, Verfügung, ihn ohne Bedenken anzunehmen; und setzte ihm ein kurzes Beichtformular auf, das der Stumme, in seiner Gegenwart, durchlas, und durch Zeichen zu erkennen gab, daß es ihm verständlich sey. Dieses Beichtformular schrieb der Stumme nachher allezeit, wenn er zur Beichte gehen wollte, ab, und gab es dem Beichtvater. Bey der Communion bezeugte er eine rührende Andacht.
Des Sonntags besuchte er die Kirche Vor- und Nachmittags, und sahe den Prediger mit der groͤßten Aufmerksamkeit an. Unter dem Singen las er im Gesangbuche; und bezeugte sich sehr andaͤchtig. Als er ungefaͤhr 20 Jahre alt war, sagte die Mutter dem dortigen Superintendent, daß ihr Sohn zum heiligen Abendmahl zugelassen zu werden wuͤnsche, und sich oft daruͤber betruͤbte, daß er davon ausgeschloßen sey; wobei sie versicherte, daß er Begriffe vom Christenthume habe. Der Superintendent ließ ihn, nebst einem seiner guten Freunde, der gewohnt war, durch Zeichen mit ihm zu sprechen, und also ihr beider Dolmetscher seyn konnte, zu sich kommen, und fand, daß er mehr von der christlichen Religion wußte, als er hatte hoffen koͤnnen. Er gab also dem Diaconus, den der Stumme selbst sich zum Beichtvater erwaͤhlt hatte, Verfuͤgung, ihn ohne Bedenken anzunehmen; und setzte ihm ein kurzes Beichtformular auf, das der Stumme, in seiner Gegenwart, durchlas, und durch Zeichen zu erkennen gab, daß es ihm verstaͤndlich sey. Dieses Beichtformular schrieb der Stumme nachher allezeit, wenn er zur Beichte gehen wollte, ab, und gab es dem Beichtvater. Bey der Communion bezeugte er eine ruͤhrende Andacht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0041" n="41"/><lb/> toll war, in die Schlafkammer, und schloß ihn ein, bis er den Rausch ausgeschlafen hatte. </p> <p>Des Sonntags besuchte er die Kirche Vor- und Nachmittags, und sahe den Prediger mit der groͤßten Aufmerksamkeit an. Unter dem Singen las er im Gesangbuche; und bezeugte sich sehr andaͤchtig. </p> <p>Als er ungefaͤhr 20 Jahre alt war, sagte die Mutter dem dortigen Superintendent, daß ihr Sohn zum heiligen Abendmahl zugelassen zu werden wuͤnsche, und sich oft daruͤber betruͤbte, daß er davon ausgeschloßen sey; wobei sie versicherte, daß er Begriffe vom Christenthume habe. Der Superintendent ließ ihn, nebst einem seiner guten Freunde, der gewohnt war, durch Zeichen mit ihm zu sprechen, und also ihr beider Dolmetscher seyn konnte, zu sich kommen, und fand, daß er mehr von der christlichen Religion wußte, als er hatte hoffen koͤnnen. Er gab also dem Diaconus, den der Stumme selbst sich zum Beichtvater erwaͤhlt hatte, Verfuͤgung, ihn ohne Bedenken anzunehmen; und setzte ihm ein kurzes Beichtformular auf, das der Stumme, in seiner Gegenwart, durchlas, und durch Zeichen zu erkennen gab, daß es ihm verstaͤndlich sey. Dieses Beichtformular schrieb der Stumme nachher allezeit, wenn er zur Beichte gehen wollte, ab, und gab es dem Beichtvater. Bey der Communion bezeugte er eine ruͤhrende Andacht.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [41/0041]
toll war, in die Schlafkammer, und schloß ihn ein, bis er den Rausch ausgeschlafen hatte.
Des Sonntags besuchte er die Kirche Vor- und Nachmittags, und sahe den Prediger mit der groͤßten Aufmerksamkeit an. Unter dem Singen las er im Gesangbuche; und bezeugte sich sehr andaͤchtig.
Als er ungefaͤhr 20 Jahre alt war, sagte die Mutter dem dortigen Superintendent, daß ihr Sohn zum heiligen Abendmahl zugelassen zu werden wuͤnsche, und sich oft daruͤber betruͤbte, daß er davon ausgeschloßen sey; wobei sie versicherte, daß er Begriffe vom Christenthume habe. Der Superintendent ließ ihn, nebst einem seiner guten Freunde, der gewohnt war, durch Zeichen mit ihm zu sprechen, und also ihr beider Dolmetscher seyn konnte, zu sich kommen, und fand, daß er mehr von der christlichen Religion wußte, als er hatte hoffen koͤnnen. Er gab also dem Diaconus, den der Stumme selbst sich zum Beichtvater erwaͤhlt hatte, Verfuͤgung, ihn ohne Bedenken anzunehmen; und setzte ihm ein kurzes Beichtformular auf, das der Stumme, in seiner Gegenwart, durchlas, und durch Zeichen zu erkennen gab, daß es ihm verstaͤndlich sey. Dieses Beichtformular schrieb der Stumme nachher allezeit, wenn er zur Beichte gehen wollte, ab, und gab es dem Beichtvater. Bey der Communion bezeugte er eine ruͤhrende Andacht.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/41>, abgerufen am 16.02.2025. |