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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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Körpers und mit einem mal erreichten die Nerven den gehörigen Grad der Spannung wieder, sie wurden wieder heraufgestimmt, die Lebensgeister kamen wieder in gehörigen Umlauf. Das verursachte dem Kranken das bis dahin ungewohnte Gefühl des Wohlseyns, welches mit der lebhaftesten Freude verbunden war. Jetzt strömten ihm, gleich einem aufgehaltenen Strom, von allen Seiten neue Eindrücke entgegen. Jene Erschlaffung hatte nur schwache Eindrücke und Vorstellungen zugelassen, die also ohnehin nicht leicht reproducirt werden konnten. Um desto eher konnten sie von den neuen weit stärkern Eindrücken so überwältiget werden, daß von ihnen keine Spur übrig blieb. Nur der Eindruck von der einen Operation des Wundarztes war stark genug gewesen, um fortdauern zu können, bei welcher Gelegenheit die Nerven eine grössere Spannung durch die Vorbereitungen zur Operation bekommen hatten, denn der Patient war bei dieser Gelegenheit ausser Bette gebracht worden.

Warum aber knüpfte sich der erste Gedanke des lebhafter werdenden Bewußtseyns an den letztern, welchen die Seele hatte, als diese Lebhaftigkeit anfieng einzuschlummern? -- Bestimmt kann ichs nicht sagen, aber ich darf vermuthen. Wahrscheinlich nahm die Spannung der Nerven in dem Grade zu, in welchem sie vorher abgenommen hatte, und hatte zu der Zeit, da der Seele das Bild des armen Kindes vorschwebte, eben den Grad


Koͤrpers und mit einem mal erreichten die Nerven den gehoͤrigen Grad der Spannung wieder, sie wurden wieder heraufgestimmt, die Lebensgeister kamen wieder in gehoͤrigen Umlauf. Das verursachte dem Kranken das bis dahin ungewohnte Gefuͤhl des Wohlseyns, welches mit der lebhaftesten Freude verbunden war. Jetzt stroͤmten ihm, gleich einem aufgehaltenen Strom, von allen Seiten neue Eindruͤcke entgegen. Jene Erschlaffung hatte nur schwache Eindruͤcke und Vorstellungen zugelassen, die also ohnehin nicht leicht reproducirt werden konnten. Um desto eher konnten sie von den neuen weit staͤrkern Eindruͤcken so uͤberwaͤltiget werden, daß von ihnen keine Spur uͤbrig blieb. Nur der Eindruck von der einen Operation des Wundarztes war stark genug gewesen, um fortdauern zu koͤnnen, bei welcher Gelegenheit die Nerven eine groͤssere Spannung durch die Vorbereitungen zur Operation bekommen hatten, denn der Patient war bei dieser Gelegenheit ausser Bette gebracht worden.

Warum aber knuͤpfte sich der erste Gedanke des lebhafter werdenden Bewußtseyns an den letztern, welchen die Seele hatte, als diese Lebhaftigkeit anfieng einzuschlummern? — Bestimmt kann ichs nicht sagen, aber ich darf vermuthen. Wahrscheinlich nahm die Spannung der Nerven in dem Grade zu, in welchem sie vorher abgenommen hatte, und hatte zu der Zeit, da der Seele das Bild des armen Kindes vorschwebte, eben den Grad

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[10/0010] Koͤrpers und mit einem mal erreichten die Nerven den gehoͤrigen Grad der Spannung wieder, sie wurden wieder heraufgestimmt, die Lebensgeister kamen wieder in gehoͤrigen Umlauf. Das verursachte dem Kranken das bis dahin ungewohnte Gefuͤhl des Wohlseyns, welches mit der lebhaftesten Freude verbunden war. Jetzt stroͤmten ihm, gleich einem aufgehaltenen Strom, von allen Seiten neue Eindruͤcke entgegen. Jene Erschlaffung hatte nur schwache Eindruͤcke und Vorstellungen zugelassen, die also ohnehin nicht leicht reproducirt werden konnten. Um desto eher konnten sie von den neuen weit staͤrkern Eindruͤcken so uͤberwaͤltiget werden, daß von ihnen keine Spur uͤbrig blieb. Nur der Eindruck von der einen Operation des Wundarztes war stark genug gewesen, um fortdauern zu koͤnnen, bei welcher Gelegenheit die Nerven eine groͤssere Spannung durch die Vorbereitungen zur Operation bekommen hatten, denn der Patient war bei dieser Gelegenheit ausser Bette gebracht worden. Warum aber knuͤpfte sich der erste Gedanke des lebhafter werdenden Bewußtseyns an den letztern, welchen die Seele hatte, als diese Lebhaftigkeit anfieng einzuschlummern? — Bestimmt kann ichs nicht sagen, aber ich darf vermuthen. Wahrscheinlich nahm die Spannung der Nerven in dem Grade zu, in welchem sie vorher abgenommen hatte, und hatte zu der Zeit, da der Seele das Bild des armen Kindes vorschwebte, eben den Grad

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/10>, abgerufen am 23.11.2024.