Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Durch die Veränderung unsrer Wohnung und unsrer übrigen Verhältnisse erfolgte auch eine in Ansehung unsrer Erziehung. Hatten wir vorher viel Willen und Freiheit gehabt, so hatten wir jetzt noch mehr, da unser Vater jetzt wegen seiner neuen Einrichtung selten um uns seyn konnte, und meine Mutter -- eine außerordentlich nachgebende gütige Frau -- die ihr größtes Vergnügen darin findet, allen Menschen zu Willen zu leben, und etwas zu ihrem Vergnügen beizutragen, versagte auch hier uns keine unsrer Bitten. -- Da wir ziemlich entfernt wohnten, so waren uns die öffentlichen Schulen ziemlich weit -- doch besuchten wir sie zuweilen -- und in dieser machten wir allerlei Bekanntschaften. Unser Obst, das wir immer mitnahmen, machte uns viel Tischfreunde. -- Einer darunter zeichnete sich vorzüglich aus, indem er unsre Freundschaft mehr als andre suchte. Er hat vielen Einfluß in mein folgendes Schicksal gehabt; deswegen muß ich ihn mit in meine Geschichte, ohne seinen Nahmen zu nennen, einführen. Jch thue dieß aus Ehrfurcht für das Amt, das er bald willens ist zu bekleiden; eigentlich verdiente er es eben nicht: denn er hat viel zu meiner Verschlimmerung beigetragen, und das aus wirklich bösem Herzen: denn er war schadenfroh, diebisch, neidisch, verläumderisch und
Durch die Veraͤnderung unsrer Wohnung und unsrer uͤbrigen Verhaͤltnisse erfolgte auch eine in Ansehung unsrer Erziehung. Hatten wir vorher viel Willen und Freiheit gehabt, so hatten wir jetzt noch mehr, da unser Vater jetzt wegen seiner neuen Einrichtung selten um uns seyn konnte, und meine Mutter ― eine außerordentlich nachgebende guͤtige Frau ― die ihr groͤßtes Vergnuͤgen darin findet, allen Menschen zu Willen zu leben, und etwas zu ihrem Vergnuͤgen beizutragen, versagte auch hier uns keine unsrer Bitten. ― Da wir ziemlich entfernt wohnten, so waren uns die oͤffentlichen Schulen ziemlich weit ― doch besuchten wir sie zuweilen ― und in dieser machten wir allerlei Bekanntschaften. Unser Obst, das wir immer mitnahmen, machte uns viel Tischfreunde. ― Einer darunter zeichnete sich vorzuͤglich aus, indem er unsre Freundschaft mehr als andre suchte. Er hat vielen Einfluß in mein folgendes Schicksal gehabt; deswegen muß ich ihn mit in meine Geschichte, ohne seinen Nahmen zu nennen, einfuͤhren. Jch thue dieß aus Ehrfurcht fuͤr das Amt, das er bald willens ist zu bekleiden; eigentlich verdiente er es eben nicht: denn er hat viel zu meiner Verschlimmerung beigetragen, und das aus wirklich boͤsem Herzen: denn er war schadenfroh, diebisch, neidisch, verlaͤumderisch und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0042" n="42"/><lb/> lich erholte sich meine gute Natur doch wieder, und ich wurde, nachdem meine Krankheit volle dreiviertel Jahr gedauert hatte, wieder gesund. </p> <p>Durch die Veraͤnderung unsrer Wohnung und unsrer uͤbrigen Verhaͤltnisse erfolgte auch eine in Ansehung unsrer Erziehung. Hatten wir vorher viel Willen und Freiheit gehabt, so hatten wir jetzt noch mehr, da unser Vater jetzt wegen seiner neuen Einrichtung selten um uns seyn konnte, und meine Mutter ― eine außerordentlich nachgebende guͤtige Frau ― die ihr groͤßtes Vergnuͤgen darin findet, allen Menschen zu Willen zu leben, und etwas zu ihrem Vergnuͤgen beizutragen, versagte auch hier uns keine unsrer Bitten. ― Da wir ziemlich entfernt wohnten, so waren uns die oͤffentlichen Schulen ziemlich weit ― doch besuchten wir sie zuweilen ― und in dieser machten wir allerlei Bekanntschaften. Unser Obst, das wir immer mitnahmen, machte uns viel Tischfreunde. ― Einer darunter zeichnete sich vorzuͤglich aus, indem er unsre Freundschaft mehr als andre suchte. Er hat vielen Einfluß in mein folgendes Schicksal gehabt; deswegen muß ich ihn mit in meine Geschichte, ohne seinen Nahmen zu nennen, einfuͤhren. Jch thue dieß aus Ehrfurcht fuͤr das Amt, das er bald willens ist zu bekleiden; eigentlich verdiente er es eben nicht: denn er hat viel zu meiner Verschlimmerung beigetragen, und das aus wirklich boͤsem Herzen: denn er war schadenfroh, diebisch, neidisch, verlaͤumderisch und<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [42/0042]
lich erholte sich meine gute Natur doch wieder, und ich wurde, nachdem meine Krankheit volle dreiviertel Jahr gedauert hatte, wieder gesund.
Durch die Veraͤnderung unsrer Wohnung und unsrer uͤbrigen Verhaͤltnisse erfolgte auch eine in Ansehung unsrer Erziehung. Hatten wir vorher viel Willen und Freiheit gehabt, so hatten wir jetzt noch mehr, da unser Vater jetzt wegen seiner neuen Einrichtung selten um uns seyn konnte, und meine Mutter ― eine außerordentlich nachgebende guͤtige Frau ― die ihr groͤßtes Vergnuͤgen darin findet, allen Menschen zu Willen zu leben, und etwas zu ihrem Vergnuͤgen beizutragen, versagte auch hier uns keine unsrer Bitten. ― Da wir ziemlich entfernt wohnten, so waren uns die oͤffentlichen Schulen ziemlich weit ― doch besuchten wir sie zuweilen ― und in dieser machten wir allerlei Bekanntschaften. Unser Obst, das wir immer mitnahmen, machte uns viel Tischfreunde. ― Einer darunter zeichnete sich vorzuͤglich aus, indem er unsre Freundschaft mehr als andre suchte. Er hat vielen Einfluß in mein folgendes Schicksal gehabt; deswegen muß ich ihn mit in meine Geschichte, ohne seinen Nahmen zu nennen, einfuͤhren. Jch thue dieß aus Ehrfurcht fuͤr das Amt, das er bald willens ist zu bekleiden; eigentlich verdiente er es eben nicht: denn er hat viel zu meiner Verschlimmerung beigetragen, und das aus wirklich boͤsem Herzen: denn er war schadenfroh, diebisch, neidisch, verlaͤumderisch und
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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