Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.Was geschah? der Jnquisit schlug sein Gemälde auf und zeigte auf den Messerhändler. Hieß das nicht so viel: meine Handlung ist durch die That des Entleibten entschuldiget? hätte jener mich nicht bestohlen, so hätte ich ihn nicht entleibet? Gesetzt, es sei nicht wahr, daß er von jenem bestohlen worden, der Jnquisit habe sich solches eingebildet oder fälschlich vorgegeben, so beweiset solches gleichwol, daß er eine Einsicht in die Unrechtmäßigkeit, sowohl seiner als des Entleibten Handlung habe, indem er eine Uebertretung durch die andre zu entschuldigen gedenket. Ob aber Brüning gewußt, daß vorsetzlicher Todtschlag mit nichts, wenigstens mit keiner gefahrlosen Beleidigung des andern Theils verantwortet werden könne? dieß ist eine Frage von andrer Art. Wie hat Brüning von dem ausdrücklichen Verbote Gottes, als einem Positivgesetze, Nachricht haben können? Noch vielweniger hat er die Gesetze der Obrigkeit lesen und sich davon unterrichten können. Wenn Brüning Soldaten und andere Leute mit Gewehr einhertreten gesehen, was hat er anders daraus schließen können, als jedermann hat Erlaubniß, sich seiner Haut zu wehren und seinen Gegenpart mit dem Tode zu bestrafen. Dieses ist, meiner Meinung nach, der einzige und wahre Stoff zu seiner Vertheidigung. Was geschah? der Jnquisit schlug sein Gemaͤlde auf und zeigte auf den Messerhaͤndler. Hieß das nicht so viel: meine Handlung ist durch die That des Entleibten entschuldiget? haͤtte jener mich nicht bestohlen, so haͤtte ich ihn nicht entleibet? Gesetzt, es sei nicht wahr, daß er von jenem bestohlen worden, der Jnquisit habe sich solches eingebildet oder faͤlschlich vorgegeben, so beweiset solches gleichwol, daß er eine Einsicht in die Unrechtmaͤßigkeit, sowohl seiner als des Entleibten Handlung habe, indem er eine Uebertretung durch die andre zu entschuldigen gedenket. Ob aber Bruͤning gewußt, daß vorsetzlicher Todtschlag mit nichts, wenigstens mit keiner gefahrlosen Beleidigung des andern Theils verantwortet werden koͤnne? dieß ist eine Frage von andrer Art. Wie hat Bruͤning von dem ausdruͤcklichen Verbote Gottes, als einem Positivgesetze, Nachricht haben koͤnnen? Noch vielweniger hat er die Gesetze der Obrigkeit lesen und sich davon unterrichten koͤnnen. Wenn Bruͤning Soldaten und andere Leute mit Gewehr einhertreten gesehen, was hat er anders daraus schließen koͤnnen, als jedermann hat Erlaubniß, sich seiner Haut zu wehren und seinen Gegenpart mit dem Tode zu bestrafen. Dieses ist, meiner Meinung nach, der einzige und wahre Stoff zu seiner Vertheidigung. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0063" n="63"/><lb/> <p>Was geschah? der Jnquisit schlug sein Gemaͤlde auf und zeigte auf den Messerhaͤndler.</p> <p>Hieß das nicht so viel: meine Handlung ist durch die That des Entleibten entschuldiget? haͤtte jener mich nicht bestohlen, so haͤtte ich ihn nicht entleibet?</p> <p>Gesetzt, es sei nicht wahr, daß er von jenem bestohlen worden, der Jnquisit habe sich solches eingebildet oder faͤlschlich vorgegeben, so beweiset solches gleichwol, daß er eine Einsicht in die Unrechtmaͤßigkeit, sowohl seiner als des Entleibten Handlung habe, indem er eine Uebertretung durch die andre zu entschuldigen gedenket.</p> <p>Ob aber Bruͤning gewußt, daß vorsetzlicher Todtschlag mit nichts, wenigstens mit keiner gefahrlosen Beleidigung des andern Theils verantwortet werden koͤnne? dieß ist eine Frage von andrer Art.</p> <p>Wie hat Bruͤning von dem ausdruͤcklichen Verbote Gottes, als einem Positivgesetze, Nachricht haben koͤnnen? Noch vielweniger hat er die Gesetze der Obrigkeit lesen und sich davon unterrichten koͤnnen.</p> <p>Wenn Bruͤning Soldaten und andere Leute mit Gewehr einhertreten gesehen, was hat er anders daraus schließen koͤnnen, als jedermann hat Erlaubniß, sich seiner Haut zu wehren und seinen Gegenpart mit dem Tode zu bestrafen.</p> <p>Dieses ist, meiner Meinung nach, der einzige und wahre Stoff zu seiner Vertheidigung.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [63/0063]
Was geschah? der Jnquisit schlug sein Gemaͤlde auf und zeigte auf den Messerhaͤndler.
Hieß das nicht so viel: meine Handlung ist durch die That des Entleibten entschuldiget? haͤtte jener mich nicht bestohlen, so haͤtte ich ihn nicht entleibet?
Gesetzt, es sei nicht wahr, daß er von jenem bestohlen worden, der Jnquisit habe sich solches eingebildet oder faͤlschlich vorgegeben, so beweiset solches gleichwol, daß er eine Einsicht in die Unrechtmaͤßigkeit, sowohl seiner als des Entleibten Handlung habe, indem er eine Uebertretung durch die andre zu entschuldigen gedenket.
Ob aber Bruͤning gewußt, daß vorsetzlicher Todtschlag mit nichts, wenigstens mit keiner gefahrlosen Beleidigung des andern Theils verantwortet werden koͤnne? dieß ist eine Frage von andrer Art.
Wie hat Bruͤning von dem ausdruͤcklichen Verbote Gottes, als einem Positivgesetze, Nachricht haben koͤnnen? Noch vielweniger hat er die Gesetze der Obrigkeit lesen und sich davon unterrichten koͤnnen.
Wenn Bruͤning Soldaten und andere Leute mit Gewehr einhertreten gesehen, was hat er anders daraus schließen koͤnnen, als jedermann hat Erlaubniß, sich seiner Haut zu wehren und seinen Gegenpart mit dem Tode zu bestrafen.
Dieses ist, meiner Meinung nach, der einzige und wahre Stoff zu seiner Vertheidigung.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/63 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/63>, abgerufen am 16.02.2025. |